Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
kotzt mich an, und es ödet mich an, wie du davon immer als von – lieben redest.« In ihrem Ton schwingt Spott über die blumige Umschreibung. »Weißt du, was du hast? Du ärgerst dich bloß, daß schon ein anderer a fait sauter ma cerise, bevor du dran gewesen bist! Das ist es nämlich!« Sie steht auf und humpelt energisch ins Schlafzimmer, wo er hört, wie sie sich anzieht.
Zweimal spricht sie vom anderen Zimmer aus mit ihm. Das eine Mal wiederholt sie, was ihrer Meinung nach mit ihm los ist, das andere Mal schimpft sie über jemanden, der nicht mal einen lumpigen Fernseher in seiner Bude hat …
Beide Male gibt er keine Antwort. Er sitzt da und schaut über den Park, wo die Sonne schon blasser wird, während sich der Himmel wieder milchig bezieht.
Als sie wieder ins Wohnzimmer kommt, trägt sie das lange Flickenkleid, das sie sich gestern gekauft hat. Während sie den neuen Mantel anzieht, fragt sie kalt: »Na, kommst du mit?«
»Hast du deinen Schlüssel?« Er schaut noch immer aus dem Fenster.
»Was?«
»Du wirst den Schlüssel brauchen, wenn du wieder rein willst. Hast du ihn nun?«
»Ja, ich hab' ihn!« Sie schmeißt die Tür zu.
Er sieht ihr vom Fenster aus nach und ist böse auf sich selber. Was ist los mit ihm? Was gibt er sich überhaupt mit so einem jungen Ding ab und benimmt sich dabei wie ein närrischer alter fringalet? Da gibt's nur eins: Er muß einen Job für sie finden und sie rausschmeißen.
Marie-Louise läuft beleidigt die Straße runter, ohne groß das Knie einzuknicken, damit man ihr Hinken nicht sieht, denn sie weiß, er sieht ihr bestimmt nach, und es tut ihm leid. Sie ärgert sich, daß sie nicht tun kann, was sie möchte, gleichzeitig aber hat sie Angst, eine gute Sache kaputtzumachen. Diese altmodische Wohnung ist zwar dumpf und trostlos, aber sie ist ein Obdach. Er gibt ihr Geld. Er verlangt nicht viel von ihr. Nichts Gutes kaputtmachen, bevor man was Besseres hat. Sie muß daran denken, wie der Griechenjunge gestern abend mit ihr unter dem Tisch den tripoteux gespielt hat. Vielleicht hat der Alte es gemerkt. Vielleicht ist er darum so verbiestert.
Jedenfalls wird sie ihn eine Weile schmoren lassen, dann wird sie wieder zurückkommen. Er wird froh sein, daß sie wieder da ist. Diese alten Knacker kriegen eben nicht all das junge Gemüse, das sie haben wollen.
Vielleicht geht sie mal rüber in das griechische Restaurant. Mal sehen, ob jemand da ist.
Draußen vor dem Fenster bricht der Abend an und franst die gärenden Wolkenschichten aus. Die Morgensonne war also nur ein Trick, ein Witz gewesen.
Die Gasflammen zischen, und er döst. Er denkt an das wässerige Sonnenlicht im Park. Es hatte ihn an die Sonntagvormittage in der guten Stube im Farmhaus seiner Großeltern erinnert. Wirbelnde Staubteilchen, eingefangen von schrägen Sonnenstrahlen. Der muffige Geruch … und der schwere, schwindelerregende Blumenduft.
Großpapa …
Ein strahlender Wintertag, die Sonne strömt in die gute Stube, und Großpapa, dünn und wesenlos, in der Kiste. Alle Kinder mußten in einer Reihe am Sarg vorbei. Der Duft der Blumen war schwer und süß. Claude LaPointe trug ein geborgtes und zu kleines Hemd; der enge Kragen würgte ihn. Die Kinder mußten der Reihe nach dem toten Großpapa ins Gesicht schauen. Die Kleineren mußten sich auf die Zehenspitzen stellen, um über den Rand des Sarges zu gucken, doch wagten sie es nicht, sich an ihm festzuhalten. Es war üblich, daß man Großpapa einen Abschiedskuß gab.
Claude wollte das nicht. Er konnte es nicht. Er hatte Angst. Doch die Erwachsenen hatten keine Lust, darüber zu streiten. Es gab schon genug Spannungen und Ärger darüber, wer was von der Farm bekommen sollte, und jeder glaubte, daß der eine Onkel nach mehr grabschte als ihm zustand. Und wer kümmerte sich um Großmama?
Großmama weinte nicht. Sie saß auf einem Holzstuhl in der Küche und schaukelte hin und her. Sie schlang ihre langen, dünnen Arme um sich herum und schaukelte und schaukelte.
Claude vertraute seiner Mutter unter vier Augen an, daß er Angst hatte, er würde krank, wenn er den toten Großpapa küßte.
»Aber geh! Was ist denn los mit dir? Hast du deinen Großpapa nicht lieb?«
Ihn liebhaben? Mehr als alle anderen. Claude träumte früher immer davon, Großpapa würde ihn von der Straße wegholen und auf die Farm mitnehmen. Großpapa hatte von diesen Träumen keine Ahnung. Claude war ja nur einer von den vielen Verwandten, die ihm der Reihe nach ihr
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