Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit
Lieutenants Blick erneut auf sich gerichtet und schaut abermals auf.
»Sir?«
»Ist das alles, was Sie von dem Lied kennen?«
»Was für ein Lied, Sir?«
»Das Lied, das Sie da andauernd vor sich hinsummen! Sie summen immer wieder dieselbe Stelle!«
»Ich hab' gar nicht gemerkt, daß ich summe.«
»Aber ich! Und das bringt mich langsam auf die Palme!«
»Tut mir leid, Sir.«
LaPointes Grunzen läßt durchblicken, daß ihm ›Leid tun‹ nicht genügt. Seit er heute morgen ins Büro gekommen ist, strahlt er ungute Schwingungen aus und murmelt und mault jedesmal, wenn er in der Routinearbeit an seinem Schreibtisch den Faden verliert, schlechtgelaunt vor sich hin. Er steht abrupt auf und stößt dabei mit den Kniekehlen seinen Drehstuhl zurück. Im Laufe der Jahre hat sich hinter ihm an der Wand ein rissiger weißer Strich im Putz gebildet. Die Daumen hinter den Gürtel geklemmt, läßt LaPointe seinen Blick nach draußen über das Hôtel de Ville mit seiner vom Gerüst vergitterten Fassade schweifen. Heute morgen sägt das Geräusch der Mauerreinigung geradezu an seinen Nervenenden, wie kalte Luft, wenn sie an einen wehen Zahn kommt. Und diese monotonen Zinkwolken!
Guttmanns Schreibmaschine klackt weiter in der hastigen, abgehackten Ein-Finger-Suchweise des erfahrenen Untalents. Seine Gedanken sind bei den beiden Nächten und dem Tag, die er mit dem Mädchen zusammen war, das mit ihm im selben Hause wohnt. Er war den Samstagabend bei ihr in der Wohnung und hatte ihr geholfen, an ihrer Erkältung herumzudoktern. Sie trug ein dickes Plüschkleid, das ihr sehr schlecht zu Gesicht stand, und sie mußte andauernd niesen, wodurch sie mit ihrem blassen Gesicht und den in Tränen schwimmenden Augen matt und elend wirkte. Dennoch verlor sie nicht ihren Sinn für Humor und fand, daß dies für ein erstes Rendezvous nicht gerade die beste Lösung sei. Von dem heißen Punsch, den er für sie machte, wurde sie ein bißchen high, und auch ihm stieg er zu Kopf, weil er darauf bestand, ihr beim Trinken Gesellschaft zu leisten. Als er sich ihre Bücher und Platten ansah, stellte er fest, daß sie zwar einen völlig unterschiedlichen Geschmack hatten, aber ungefähr gleich ansprechbar waren.
Gegen Mitternacht warf sie ihn raus, weil sie sich, wie sie sagte, mal richtig ausschlafen müßte, um die Erkältung loszuwerden. Er meinte, ein bißchen Bewegung würde ihr sicherlich guttun. Sie lachte und sagte, sie möchte ihn nicht gern anstecken. Er sagte, er sei bereit, diesen Preis zu zahlen, aber sie blieb bei ihrem Nein.
Am anderen Morgen rief er sie vom Bett aus an. Ihre Erkältung war zurückgegangen, und sie fühlte sich soweit wiederhergestellt, um auszugehen. Sie verbrachten den Tag in Galerien und amüsierten sich über die dort ausgestellte Schrottkunst. Er spendierte ihr ein Essen, das ein bißchen über seine Verhältnisse ging, und später diskutierten sie in seiner Wohnung über Gott und die Welt. Sie waren über Einzelheiten selten einer Meinung, fanden aber ähnliche Dinge komisch und dieselben Dinge wichtig. Nachdem sie miteinander geschlafen hatten, lagen sie auf der rechten Seite, sie mit dem Rücken an ihn geschmiegt, ihr Gesäß in seinem Schoß. Sie schlief, leise atmend, während er noch eine Zeitlang wach lag und sich wohlig von den Wellen von Zärtlichkeit durchschauern ließ, die von ihm ausgingen und sie einhüllten. Ein erstaunliches Mädchen. Nicht nur prima im Gespräch und großartig im Bett, sondern wirklich … erstaunlich.
LaPointe wendet sich vom Fenster ab und schaut Guttmann stumpf an, der die Bewegung mitgekriegt hat und mit seinem gewohnten Lächeln aufschaut, das ihm vergeht, als er bemerkt, daß er schon wieder gesummt hat.
»'tschuldigung.«
LaPointe nickt knapp.
»Übrigens, Sir, ich habe den Namen Antonio Verdini und das Pseudonym Tony Green durch den ID gejagt. Bis jetzt ist noch kein Rückruf gekommen.«
»Sie werden nichts haben.«
»Möglich, aber ich dachte, ich sollte es auf alle Fälle probieren.«
LaPointe sitzt wieder vor seinem Papierkram. »Wie's in der Vorschrift steht«, murmelt er.
»Jawohl, Sir«, sagt Guttmann, nicht wenig angeödet von LaPointes cafard heute morgen, »wie's in der Vorschrift steht.« Die Vorschrift besagt gleicherweise, daß Untersuchungsberichte innerhalb von achtundvierzig Stunden abzugeben sind, und der Mist auf Guttmanns Schreibtisch ist teilweise schon Wochen überfällig, und fast alles ist unvollständig, ein paar vollgekritzelte Zettel,
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