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Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit

Titel: Ein Herzschlag bis zur Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Trevanian
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»Fröhliche Weihnachten, Großpapa« hinmurmelten.
    »Hör auf! Hör sofort auf!« Mutters Flüstern war böse und verbissen. »Geh und küß deinen Großvater!«
    Das weiche, staubige Gesicht war auf der Seite, wo ein Strahl der Wintersonne es berührte, fast weiß. Und so rosig wie jetzt waren seine Wangen zu Lebzeiten nie gewesen. Er roch nach Mutters Make-up. Früher hatte er immer nach Tabak und Leder und Schweiß gerochen. Claude machte die Augen fest zu und beugte sich vor. Er stieß kurz den Kopf hinunter. Er traf zwar nicht, aber er tat so, als habe er Großpapa geküßt. Um nicht den halblaut geführten, verbissenen Streit um Möbel und Fotos und Großmama mit anhören zu müssen, ging er mit den anderen Kindern, die sich abwechselnd schüttelten und mit dem Handrücken fest über die Lippen rieben, in die offene Küche. Auch Claude rieb sich die Lippen, damit alle glauben sollten, er habe wirklich Großpapa geküßt, dabei wußte er, daß er an dem lebenden Großpapa Verrat übte, den er nie geküßt hatte, weil sie beide körperlich zurückhaltend waren.
    Der dicke Vetter, der immer unter der Bettdecke gefurzt hatte, flüsterte einen Witz über das Make-up, und die Cousinen kicherten. Mit kreidebleichem Gesicht wandte sich Claude vom Fenster weg und schlug seinem Vetter mit der Faust ins Gesicht. Obwohl der Vetter zwei Jahre älter und größer war, hatte er keine Chance. Claude schlug ihn mit der ganzen Kraft seines Zorns, seiner Angst, seiner Scham und seines Verlusts.
    Ein paar Erwachsene rissen Claude von dem blutenden und heulenden Vetter weg, er wurde ordentlich durchgeschüttelt und nach oben geschickt, wo er's noch kriegen würde, wenn der Priester gegangen wäre.
    Er saß auf dem Rand des Bettes im Zimmer seiner Großeltern. Dort war er nie zuvor gewesen, und es kam ihm fremd und unfreundlich vor, und doch war er froh, allein zu sein und von den andern unbeobachtet weinen zu können. Aber die Tränen kamen nicht. Er wartete. Er machte den Mund auf und keuchte scharfe, kleine Atemzüge heraus, in der Hoffnung, dies würde das Weinen, das er so nötig brauchte, hervorrufen. Die Tränen wollten nicht kommen. Ein heißer Klumpen Saures in seinem Magen, aber keine Tränen. Andere, die Großpapa weniger als er geliebt hatten, konnten weinen. Sie konnten es sich leisten, Großpapa tot sein zu lassen, denn sie hatten andere Menschen. Doch Claude …
    Als sie kamen, um ihn zu strafen, träumte Claude davon, wie Großpapa nach Trois Rivières käme und ihn dort fortholte auf die Farm.
    Das war seine Art, damit fertig zu werden.
    Mitternacht ist vorüber. LaPointe liegt jetzt schon über eine Stunde im Bett, nickt immer mal wieder ein und wacht kurz auf, als er schließlich hört, wie der Schlüssel im Schloß der Wohnungstür gedreht wird. Sie geht leise zu, und Marie-Louise will auf Zehenspitzen ins Schlafzimmer, stößt jedoch irgendwo an. Sie unterdrückt ein Kichern. Er hört Bewegungen und das Rascheln von Kleidungsstücken, die abgelegt werden. Sie schlüpft neben ihn und bringt kalte Luft mit. Er rührt sich nicht, öffnet nicht die Augen. Bald wird ihr Atem regelmäßig und flach. Sie drängt sich schläfrig an seinen Rücken, um warm zu werden, und ihre Knie sind kalt an seinen Kniekehlen.
    Er riecht den Lakritzgeschmack von Ouzo in ihrem Atem und den Schweiß eines Mannes an ihr.
    … er kann nicht atmen …
    … er schreckt aus dem Schlaf.
    Sein Gesicht ist naß.
    Er kann es nicht verstehen. Warum sind seine Augen naß?
    Er sinkt wieder in Schlaf, und am anderen Morgen kann er sich nicht mehr an den Traum erinnern.

10
    Guttmann hat die überfälligen Berichte auf dem als Schreibtisch dienenden Tischchen aufgeschichtet, und zwar so, daß noch Platz für seine Schreibmaschine bleibt. Er hat in den Wust, den LaPointe ihm aufgehalst hat, schließlich doch noch so etwas wie Sinn und Ordnung gebracht: Auf dem einen Haufen liegen die Berichte von dieser Woche, auf einem anderen die von der Vorwoche, auf einem dritten die von der vorvorigen und so weiter. Der größte Stapel aber ist der, den er im Geist den Was-zum-Teufel-ist-das-Haufen nennt.
    Das ohrenbetäubende Zischen des Sandstrahlgebläses von gegenüber läßt das billige Riffelglas der Fenster erzittern, was Guttmann veranlaßt, aufzublicken. Seine Augen begegnen denen LaPointes, die finster auf ihn gerichtet sind. Guttmann lächelt und nickt automatisch und beugt sich wieder über seine Arbeit. Doch ein paar Minuten später fühlt er des

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