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Ein Hueter erwacht

Ein Hueter erwacht

Titel: Ein Hueter erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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erleichtert, als er den sanften Druck einer großen Hand in seiner Armbeuge spürte, die ihn mit sich zog. Sie kamen unter einer Zeder zum Stehen, vor einem gepflegten Grab mit einem einfachen Steinkreuz. Thomas mußte sich ziemlich weit hinunterbeugen, um die goldene Inschrift in dem beinahe schon versickerten Dämmerlicht entziffern zu können.
    Anna Wiemeier, stand dort. Gestorben am 27. Februar 1944.
    Justus' Frau. Und sie lag hier seit beinahe fünfzig Jahren. Seit all den Jahren, in denen Justus hier gearbeitet hatte.
    »Zuerst habe ich auch gedacht, ich könnte nicht mehr weiterleben, nachdem sie sie mir nahmen. Mehr als einmal habe ich mit dem Gedanken gespielt, mich ebenfalls zu töten, allem ein Ende zu machen. Und es war nicht einfach, diesem Drang zu widerstehen, das kann ich dir sagen. Aber es hat sich gelohnt!« Nun sah der alte Mann dem Jungen mit festem Blick ins Gesicht.
    »Man muß nicht einer von ihnen werden, um mit ihnen zu reden, Thomas! Nein, das kannst du hier tun oder an jedem anderen Platz in dieser Welt, solange du ihr Andenken in deinem Herzen bewahrst! Und dann werden sie dich auch hören!«
    Justus sah die großen, zweifelnden Augen des Jungen und er ergänzte: »Ich kann das zwar nicht beweisen, aber ich glaube ganz fest daran. Und das solltest auch du tun!« Die schwielig-rauhe Handfläche des alten Mannes fuhr über die glatte Wange des Jungen. »Du hast alle deine Möglichkeiten noch vor dir, noch wichtige Erfahrungen zu machen, mein Junge. Ich möchte nicht, daß du darauf verzichtest und dir etwas antust. Bitte versprich mir das!«
    Der Junge nickte und sagte leise, bevor er sich zum Gehen wandte: »Okay! Ich glaube, ich bin dazu auch viel zu feige!«
    Als der Junge schon fast den halben Weg zum Friedhofstor zurückgelegt hatte, viel Justus noch etwas ein und er rief in die Dunkelheit: »Und wenn es mal etwas zu bereden gibt . du weißt ja, wo du mich findest!«
    Einige bange Herzschläge hörte der alte Mann nur den vereinzelten Ruf einer Eule, dann tönte es aus dem Dunkel zurück: »Ja! Und vielen Dank noch mal!«
    Aufatmend lächelnd bereitete Justus sich nun darauf vor, seine Werkzeuge einzusammeln und einzuschließen. Sein Tagwerk war getan.
    Am nächsten Morgen, kurz nachdem er das Tor aufgeschlossen hatte, schlurfte Justus durch das taufeuchte Gras zu der Grabplatte, der Gedenkstätte aus schwarzem Onyx. Er wußte nicht mit Bestimmt-heit zu sagen, warum er dies tat, aber er hatte schlecht geschlafen und suchte die Ursache dafür in seiner Aufgewühltheit wegen der Erlebnisse des Vortages. Insgeheim wollte er sich nicht eingestehen, daß er sich eher Vorwürfe darüber gemacht hatte, den Jungen in diesem labilen Zustand sich selbst überlassen zu haben.
    Als er dann sein Ziel erreicht hatte, versagten ihm die von seiner schweren Arbeit gestärkten Muskeln bei dem Anblick, der sich ihm hier bot, den Dienst. Der alte Mann fiel vor der Grabplatte, auf der der tote Junge lag, auf die Knie; sein Kopf sackte nach vorn, als ob etwas, das ihn normalerweise aufrecht hielt, in seinem Innern gebrochen war. Der Hut fiel ihm dabei herunter und kollerte über den benetzten Rasen. Aus der Kehle des Alten konnten sich keine Laute lösen, er konnte nur den Jungen ansehen, der mit weit geöffneten, gestorbenen Augen in den dunstigen Morgenhimmel starrte.
    Justus konnte keine Anzeichen dafür erkennen, daß der Junge einen gewaltsamen oder herbeigeführten Tod gestorben war; am meisten zuwider war ihm noch das friedliche Lächeln, das um seine faltenlosen, bläßlichen Lippen spielte. Justus gab etwas wie das Geräusch eines knirschenden feuchten Astes von sich, als er mit seinen riesigen Pranken nach den zerbrechlich aussehenden, kalkweißen Händen des Jungen griff, die er über seinem Bauch verschränkt hatte. Er fühlte die Kälte, die von ihnen ausging; die noch viel kälter war als die des gerade aufblühenden jungen Morgens.
    Da sah er, daß Thomas einen Strauß Blumen fest in seinen Armen wog. Dreizehn rote Rosen, zählte der alte Mann, und als sein Verstand sich weigerte zu begreifen, was er sah, verschleierten ihm gnädige Tränen den Blick. Justus stieß einen jammervollen, heulenden Schrei aus, ehe er sein Gesicht auf die Brust des Toten bettete.
    Wie es wohl sein mag? fragte er sich, in den blauen Himmel über sich starrend, der nur tief blau war und sonst gar nichts. Da hörte er eine vertraute, liebe Stimme hinter sich, eine Stimme, die er sich gesehnt hatte, zu hören. Würden

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