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Ein Hungerkünstler

Ein Hungerkünstler

Titel: Ein Hungerkünstler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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Volkes dehnen und
    strecken. Und in diese Träume klingt hier und da
    Josefinens Pfeifen; sie nennt es perlend, wir nennen es stoßend; aber jedenfalls ist es hier an seinem Platze, wie nirgends sonst, wie Musik kaum jemals den auf sie
    wartenden Augenblick findet. Etwas von der armen kurzen Kindheit ist darin, etwas von verlorenem, nie wieder aufzufindendem Glück, aber auch etwas vom tätigen
    heutigen Leben ist darin, von seiner kleinen,
    unbegreiflichen und dennoch bestehenden und nicht zu ertötenden Munterkeit. Und dies alles ist wahrhaftig nicht mit großen Tönen gesagt, sondern leicht, flüsternd, vertraulich, manchmal ein wenig heiser. Natürlich ist es ein Pfeifen. Wie denn nicht? Pfeifen ist die Sprache unseres Volkes, nur pfeift mancher sein Leben lang und weiß es nicht, hier aber ist das Pfeifen frei gemacht von den Fesseln des täglichen Lebens und befreit auch uns für eine kurze Weile. Gewiß, diese Vorführungen wollten wir nicht missen. Aber von da bis zu Josefinens Behauptung, sie gebe uns in solchen Zeiten neue Kräfte und so weiter, und so weiter, ist noch ein sehr weiter Weg. Für
    gewöhnliche Leute allerdings, nicht für Josefinens
    Schmeichler. »Wie könnte es anders sein« sagen sie in recht unbefangener Keckheit »wie könnte man anders den großen Zulauf, besonders unter unmittelbar drängender Gefahr, erklären, der schon manchmal sogar die
    genügende, rechtzeitige Abwehr eben dieser Gefahr
    verhindert hat.« Nun, dies letztere ist leider richtig, gehört aber doch nicht zu den Ruhmestiteln Josefinens, besonders wenn man hinzufügt, dass, wenn solche Versammlungen unerwartet vom Feind gesprengt wurden und mancher der Unsrigen dabei sein Leben lassen mußte, Josefine, die alles verschuldet, ja, durch ihr Pfeifen den Feind vielleicht angelockt hatte, immer im Besitz des sichersten Plätzchens 43
    war und unter dem Schutze ihres Anhanges sehr still und eiligst als erste verschwand. Aber auch dieses wissen im Grunde alle, und dennoch eilen sie wieder hin, wenn Josefine nächstens nach ihrem Belieben irgendwo,
    irgendwann zum Gesange sich erhebt. Daraus könnte man schließen, dass Josefine fast außerhalb des Gesetzes steht, dass sie tun darf, was sie will, selbst wenn es die Gesamtheit gefährdet, und dass ihr alles verziehen wird.
    Wenn dies so wäre, dann würden auch Josefinens
    Ansprüche völlig verständlich, ja, man könnte
    gewissermaßen in dieser Freiheit, die ihr das Volk geben würde, in diesem außerordentlichen, niemand sonst
    gewährten, die Gesetze eigentlich widerlegenden
    Geschenk ein Eingeständnis dessen sehen, dass das Volk Josefine, wie sie es behauptet, nicht versteht, ohnmächtig ihre Kunst anstaunt, sich ihrer nicht würdig fühlt, dieses Leid, das es Josefine tut, durch eine geradezu verzweifelte Leistung auszugleichen strebt und, so wie ihre Kunst außerhalb seines Fassungsvermögens ist, auch ihre Person und deren Wünsche außerhalb seiner Befehlsgewalt stellt.
    Nun, das ist allerdings ganz und gar nicht richtig, vielleicht kapituliert im einzelnen das Volk zu schnell vor Josefine, aber wie es bedingungslos vor niemandem
    kapituliert, also auch nicht vor ihr.
    Schon seit langer Zeit, schon seit Beginn ihrer
    Künstlerlaufbahn, kämpft Josefine darum, dass sie mit Rücksicht auf ihren Gesang von jeder Arbeit befreit werde; man solle ihr also die Sorge um das tägliche Brot und alles, was sonst mit unserem Existenzkampf
    verbunden ist, abnehmen und es wahrscheinlich auf das Volk als Ganzes überwälzen. Ein schnell Begeisterter es fanden sich auch solche könnte schon allein aus der Sonderbarkeit dieser Forderung, aus der
    Geistesverfassung, die eine solche Forderung auszudenken 44
    imstande ist, auf deren innere Berechtigung schließen.
    Unser Volk zieht aber andere Schlüsse und lehnt ruhig die Forderung ab. Es müht sich auch mit der Widerlegung der Gesuchsbegründung nicht sehr ab. Josefine weist zum Beispiel darauf hin, dass die Anstrengung bei der Arbeit ihrer Stimme schade, dass zwar die Anstrengung bei der Arbeit gering sei im Vergleich zu jener beim Gesang, dass sie ihr aber doch die Möglichkeit nehme, nach dem
    Gesang sich genügend auszuruhen und für neuen Gesang sich zu stärken, sie müsse sich dabei gänzlich erschöpfen und könne trotzdem unter diesen Umständen ihre
    Höchstleistung niemals erreichen. Das Volk hört sie an und geht darüber hinweg. Dieses so leicht zu rührende Volk ist manchmal gar nicht zu rühren. Die Abweisung ist

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