Ein Jahr – ein Leben
bringen?
Ja, manchmal, ja.
Punkt.
Mir fällt jetzt noch etwas anderes ein. Im letzten Internat, auf dem ich war, in St. Peter-Ording, hatten wir Stockbetten. Ich hatte mein Bett oben. Die anderen wollten immer unten schlafen, das war einfacher, abends rein, morgens wieder schnell raus. Ich war lieber für mich. Ich habe auch damals schon schlecht geschlafen, daran hat sich bis heute nichts geändert. Das liegt daran, dass bei mir im Kopf ein Motor einsetzt, sobald ich im Bett liege und über alles mögliche nachdenke, mich immer wieder frage, wo gehöre ich hin? Heute, nach sechzig Jahren, stelle ich mir die Frage immer noch, trotz aller Erfahrungen, die ich gemacht habe. Und so habe ich es mir zum Prinzip gemacht, egal, wo ich bin …
… auf welchem Parkett Sie sich gerade bewegen …
… mich sicher zu bewegen. Das hat sich durch mein ganzes Leben gezogen. Wo gehöre ich hin? Muss man überhaupt irgendwo hingehören?
Haben Sie heute darauf eine Antwort?
Erst einmal muss man zu sich selbst gehören. Wenn das geschafft ist, hat man eine gute Startbahn vor sich, auf die man sich begeben kann. Dann kann man ruhig auch ein paar Pirouetten drehen. Aber erst einmal muss man sich mit sich selbst beschäftigen, muss wissen, was man möchte. In dieser Beziehung war ich immer ziemlich gründlich mit mir. Und bin es heute noch. Natürlich gehört dazu, die Kontrolle auch mal zu verlieren. Aber weil ich ein öffentlicher Mensch bin, lasse ich das selten zu.
Was heißt das eigentlich genau: ein öffentlicher Mensch zu sein?
Dass du ständig wahrgenommen und dadurch ebenso ständig be- und verurteilt wirst. Leute nehmen mich wahr und machen sich in diesem Moment ein Bild von mir. Sie haben mich in einem Film gesehen, den sie mochten oder nicht. Oder sie wissen, dass ich nicht geheiratet habe. Und auch noch lange mit einem jüdischen Mann liiert war. Dann setze ich mich auch noch öffentlich für eine Partei ein, das mögen ebenfalls nicht alle. Es existieren also alle möglichen Informationen, Halbwahrheiten und Gerüchte über mich, und egal wo ich hinkomme, spüre ich die Blicke des Erkennens, des Urteilens.
Wie sind diese Blicke?
Ich spüre, dass mich ein fremder Mensch ansieht, in mir aber etwas Vertrautes sieht. Das merke ich sofort.
Passiert es Ihnen auch, dass Sie denken, Sie seien erkannt worden – sind es aber gar nicht?
Nein, das nicht. Aber manchmal komme ich irgendwo hin und merke, dass ich gar nicht wahrgenommen werde. Sofort frage ich mich: Warum nicht? Im zweiten Moment denke ich: Oh, ist auch mal schön. Aber der erste Gedanke ist immer: Warum nicht?
Klingt anstrengend.
Das war auch der Auslöser für mich, zwischenzeitlich aufzuhören, als ich 50 wurde. Ich war mir damals unsicher: Kann ich auf die Aufmerksamkeit verzichten? Bin ich wirklich unabhängig von all dem – oder gebe ich das nur vor, auch vor mir selbst?
Wie lautet Ihre Bilanz aus dem damaligen Experiment?
Ich habe weitergemacht. (lacht) Ich habe verstanden: Ich bin das, was ich bin, auch durch meinen Beruf. Durch die Dreharbeiten, durch das Beschäftigen mit Stoffen, mit Geschichten, auch funktionieren zu müssen in immer neuen Konstellationen beim Filmemachen. Ich bin nicht frei von dem Gefühl, durch Reaktionen anderer bestätigt zu werden. Sonst wäre ich wohl nicht Schauspielerin geworden. Ich war jetzt gerade wieder auf einer kleinen Lesereise quer durch Deutschland, von Lindau am Bodensee bis nach Bremen, und da kam es immer wieder vor, dass ich auf der Straße angesprochen wurde: »Entschuldigen Sie, Frau Berben, jetzt habe ich Sie erkannt, darf ich ein Autogramm haben?« Ich denke dann, sie sollten sich nicht dafür entschuldigen. Wenn das Erkennen nicht mehr stattfindet, würde mich das vielleicht verunsichern.
Wie werden Sie reagieren, wenn Sie eines Tages tatsächlich nicht mehr so oft erkannt werden?
Die Veränderung erlebe ich doch längst. Es sind vor allem die Älteren, die mich ansprechen. Bei den Jüngeren lässt das bereits nach. Viele von denen kennen mich nur noch aus einer Kosmetikwerbung.
So wie Thomas Gottschalk einmal erzählt hat, dass er vom jungen Publikum nicht mehr als »Wetten, dass ..?«-Moderator, sondern als Haribo-Onkel wahrgenommen wird.
Genau so.
Wie gehen Sie damit um?
Nicht gut. (lacht) Das quält. Nicht, weil ich nicht zu der Werbung stehe, die mache ich gerne. Was ich sagen will: Ich kann das doch nicht auf die Werbung schieben. Es liegt an mir: Iris, 61 . Es liegt daran, dass ich
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