Ein Jahr – ein Leben
ihre Zeit in der Kommune. Dafür habe ich Uschi meinen Bockhorn überlassen, mit dem sie bis zu seinem Tod verheiratet war.
Dieter Bockhorn, der Nachtclubbesitzer?
Ja, wir kannten uns, und als ich von Hamburg nach München zog, hat er mich besucht und Uschi kennengelernt. Es lief auch besser mit ihr als zwischen uns, weil ich eher zu den Verklemmten gehörte. Ich habe nur immer so getan, als wäre ich ganz weit vorne. Mit dieser Offenheit damals, der sexuellen Revolution hatte ich überhaupt nichts am Hut. Heute wird ja oft gesagt, dass sich damals so viele Schleusen geöffnet hätten, aber das betraf wirklich nur einen ganz kleinen Kreis.
Und trotzdem hat sich die Gesellschaft in dieser Zeit liberalisiert.
Ja, natürlich und wie. Klar, man konnte plötzlich mal neben jemandem im Bett liegen, ohne gleich eines Vergehens beschuldigt zu werden. Man konnte plötzlich mit Jungs zusammenwohnen, ohne dass das Wort »Flittchen« fiel. Ich habe in Hamburg lange mit zwei Schwulen zusammengewohnt, so etwas ging vorher gar nicht. Ich bin ja noch aus einem Internat geflogen, weil ich mal beim Küssen erwischt worden bin. Beim Stichwort »1968« geht es heute allerdings fast reflexartig entweder nur um Terror oder nur um Sex, das ist mir zu klein gedacht.
In diesem Jahr ist Ihr Sohn Oliver 40 geworden, er ist in der Zeit, über die wir gerade reden, geboren, 1971 .
Dieses alte Kind! (lacht) Wie sagt meine Mutter immer mit ihren 89 Jahren: Was haben wir mit diesen Zahlen zu tun? Sie sagt das nicht aus Arroganz, sondern weil wir uns doch alle unter einem bestimmten Alter etwas Bestimmtes vorstellen, ein Bild im Kopf haben, wie man zu sein hat. Und so wurde ich 60 und mein Bild hatte so gar nichts mit mir zu tun.
Wie sah dieses Bild aus?
In dem Alter zog man sich früher langsam aus der Gesellschaft zurück, man nahm nicht mehr wirklich teil. Allein durch die Farbgebung der Kleider, das dezente Beige-Braun, durch die Frisuren, durch das graue Haar. Grau und weg – so war es doch. Man verabschiedete sich von der Vorstellung, dass auch eine Frau mit 60 Jahren begehrt werden möchte, teilnehmen möchte am Leben, neugierig ist, ebenso Lust hat wie Ängste.
Das hat sich heute geändert.
Ja. Wobei man aufpassen muss, dass es sich nicht ins Gegenteil verkehrt. Vom Forever-young-Prinzip halte ich nichts. Ich will nicht für immer jung sein. Ich wäre gerne für immer gesund, das schon. Ich wäre auch gerne für immer wach. Und ich würde natürlich gerne für immer leben. Aber es geht mir nicht um Jugendlichkeit. Wenn Menschen nicht altern können und eine unglaubwürdige Jugendlichkeit vorleben, wird es schnell peinlich. Aber es ist eine gute Entwicklung, dass wir uns nicht mehr reduzieren müssen wie früher. Ich kann zum Beispiel in meinem Alter die Haare lang tragen. Obwohl …
Obwohl?
Darüber wird natürlich immer noch getuschelt und geschrieben.
Inwiefern?
Ich lese plötzlich in Zusammenhang mit meinen Haaren: »Auch sie setzt sich über Grenzen hinweg.« Aha, denke ich dann, das wird als Statement bewertet, wenn ich meine Haare nicht abschneide, das wusste ich bislang gar nicht! So entstehen Scheren im Kopf: Man liest etwas, und plötzlich fängt es an, in einem zu arbeiten: Ist das wirklich so? Sollte ich mich anpassen?
Sie gehen mit Ihrem Alter weiterhin offensiv um.
Muss ich doch. Es fängt ja damit an, dass auf jeder Creme, auf jedem Shampoo, auf jedem Hautöl und auf allen Tropfen, die ich besitze, ›Repair‹ steht. Wenn ich mein Badezimmer betrete, befinde ich mich also in einer Reparaturwerkstatt.
Wenn Sie sagen, dass in Ihrem Kopf 60 -jährige Frauen als alt galten, wo sehen Sie heute die Grenze?
Ich bin mir nicht mehr sicher, ob es diese Grenzen noch gibt. Ich sehe das bei meiner Mutter. Das Frauenbild, das sie mir vorgelebt hat, das Selbständige, Eigenständige, das von allem und allen Unabhängige, das hat mich geprägt, auch ihr Stil, sich zu kleiden. Sie läuft immer noch in schicken Blusen und Hosen herum. Ich bringe ihr auch bis heute, wenn ich sie besuche, gerne neue Kleider mit, einfach weil ich es schön finde, sich als Frau elegant zu fühlen, verführerisch zu sein, selbstbewusst – egal in welchem Alter. Viel Weib und dazu eine winzige Portion Weibchen, das ist eine gute Mischung. Wir alle leben doch von diesen kleinen Spielchen, Flirts, auch sie halten uns lebendig.
Sie beschreiben Ihre Mutter als emanzipiert, als starke Persönlichkeit, als ein positives Vorbild. Gab es auch einen
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