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Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)

Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition)

Titel: Ein Jahr im Frühling (Cappuccino-Romane) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Nohl
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konnten die Pappel vor dem Fenster rascheln hören, das gehörte
jetzt mit zu ihren kostbarsten Erinnerungen.
    Fred hatte nach anfänglicher Verzweiflung sein Schicksal
angenommen, er haderte nicht mehr, warum gerade ihm so etwas zustoßen musste,
dass weder die Chemotherapie noch die Knochenmarktransplantation zu einer
Heilung seiner Leukämie geführt hatten. Er wirkte so in sich ruhend, so
versöhnt mit sich und seinem Leben, dass sie immer ganz gestärkt von den
Besuchen bei ihm wegging. Wie konnte es sein, dass ein Todkranker so viel
Zuversicht ausstrahlte? Sie hatte einmal versucht, ihn darauf anzusprechen und
ihn gefragt, ob er an Gott und ein Leben nach dem Tod glaube, denn Zuhause war
das nie ein Thema bei ihnen gewesen. Er wiegte nur leicht den Kopf und sagte:
„Ich habe keine Ahnung, ich weiß nur, dass ich mich zurzeit geborgen fühle und
das Gefühl habe, ich werde begleitet und es passiert nichts, wozu ich nicht die
Kraft hätte.“
    Das hatte sie getröstet und später konnte sie das Thema
nicht mehr aufnehmen, denn da war es ihm nicht mehr möglich zu sprechen. Sie
konnte gar nicht sagen, wie sie ihn vermisste.
    Da sah sie einen kleinen silberfarbenen Wegweiser zur
Grabstätte von Hilde Domin. Nur eine
Rose als Stütze ... Ruth, ihre liebe Hamburger Freundin, hatte
ihr ein kleines Gedichtbändchen dieser Autorin geschenkt, als Fred gestorben
war. Manche Gedichte las sie immer wieder. Diese Frau konnte das, was Emily
fühlte und oft gar nicht ganz greifen konnte, so unglaublich treffend in Worte
fassen. Hier lag sie also begraben, Frau Domin. Emily hatte sich noch nie
Gedanken über ihr Alter gemacht, die Gedichte erschienen ihr so zeitlos. Doch
wenn sie schon einmal hier war, wollte sie auch gerne ihr Grab sehen.
    Sie folgte einem weiteren Wegweiser, dann noch einem und
hatte das Gefühl, immer tiefer in den Friedhof vorzudringen. Gleichzeitig stieg
sie immer weiter bergauf. Nach weiteren mindestens fünfzehn Hinweistäfelchen,
als die Gräber immer spärlicher gesät waren und der Wald den Friedhof bereits
zurückzuerobern schien, kam sie endlich an das Grab. Hilde Domin war erst vor
wenigen Jahren gestorben, entnahm sie dem Todesdatum und ziemlich alt geworden.
Einige Verehrer oder Verehrerinnen hatten Steine, Herzen und andere
Devotionalien auf das einfache Grab gelegt. Während Emily die schlichte
Inschrift wieder und wieder las, dehnte sich ihr Herz aus wie ein Luftballon: Wir setzten unseren Fuß in die Luft und sie
trug. Diese in Sandstein gehauenen Worte berührten sie mehr als alle
in Marmor gemeißelten Bibelsprüche, die sie auf ihrem Weg den Berg hinauf
gelesen hatte. Ob das auch eine Zeile aus einem ihrer Gedichte war? Danke, Frau
Domin für dieses kleine unverhoffte Geschenk, ich werde es in Ehren halten.
    Emily stieg ein Stück weiter den Berg hinunter und ließ sich
auf einer Bank nieder, von der aus sie einen wunderbaren Blick über die Ebene
hatte. Die Frühblüher entfalteten gerade ihre volle Pracht. Ihr Blick glitt
über die Grabsteine, es gab wenige, die ihr richtig gefielen, am ehesten noch die
Findlinge, die so unbearbeitet aussahen wie das unvollendete Leben, das sie
unter sich bargen. Da fiel ihr Blick auf eine Gestalt wenige Reihen schräg unter ihr, die vor einem der jüngeren Gräber
stand. Der Größe und Statur nach war es ein Mann, aber seine
schulterlangen Locken hätten jeder Frau Ehre gemacht. Schwarz und glänzend
fielen sie ihm so in das gebeugte Gesicht, dass Emily es nicht erkennen konnte.
Sie seufzte. Anscheinend war sie schon anfällig für äußere Attraktivität bei
Männern, und gepflegte Haare gehörten eindeutig dazu. Dann natürlich die Augen,
allein schon aus beruflicher Vorbelastung. Und ganz besonders wichtig waren die
Hände, ohne dass sie sagen könnte, wie genau sie beschaffen sein mussten, um
ihr zu gefallen. Sie wusste genau, wenn sie einen Mann kennen lernte und dessen
Händedruck das erste Mal spürte, ob er gute Hände hatte oder nicht.
    Neugierig versuchte sie einen Blick auf das Gesicht unter
dem schwarzen Lockenschopf zu erhaschen, auch wenn sie sich pietätlos vorkam,
weil sie ihn so anstarrte. Irgendetwas an seiner Haltung rührte sie. Er stand
aufrecht da, machte aber gleichzeitig einen unglaublich bedrückten und
niedergeschlagenen Eindruck. Sie sah sogar, wie sich seine Brust in einem
tiefen Seufzer ausdehnte und wieder zusammenfiel. Schnell schaute sie weg. Es
war nicht richtig, einen anderen Menschen so in seiner Trauer

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