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Ein Jahr in Andalusien

Titel: Ein Jahr in Andalusien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronica Frenzel
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platziere, fällt mir eine Postkarte entgegen. Die
Alhambra ist zu sehen und auf der Rückstücke steht in sorgfältiger Schrift: „Para Veronica. Para que no me olvide. – Für Veronica. Damit sie mich nicht
vergisst.“ Die Karte ist nicht unterschrieben. Jaime, meine Romanze aus der Studienzeit, hat sie mir geschickt, als ich gerade wieder zurück in
Deutschland war. Ich habe den schmalen jungen Mann mit den langen braunen Locken und dem verschmitzten Lachen nicht vergessen. Vielleicht hat die
Erinnerung an ihn sogar dazu beigetragen, dass ich so Knall auf Fall nach Andalusien aufgebrochen bin, als sich die erste Gelegenheit bot? Aber ich
zweifle daran, dass er sich überhaupt noch an mich erinnert. Romantische Sprüche hatte er ständig auf den Lippen, mich machte er damit ganz
schwach. Doch ich erinnerte mich immer wieder daran, dass ich bestimmt nicht das erste Nordlicht war, das er damit bezirzte. Nachdem wir unsin einer Nacht in der Flamencobar Eshavira kennengelernt hatten, besuchte er mich noch ein paar Mal in Granada. Jaime lebt in Málaga,
rund hundert Kilometer weiter südlich, an der Costa del Sol. Als ich zurück in München war, schickten wir uns noch ab und zu eine Postkarte, aber
irgendwann brach der Kontakt ab.
    Mein Ausflug in die Vergangenheit erinnert mich daran, dass ich Flamenco tanzen lernen will. Vielleicht entdecke ich dort auch gleich ein paar mögliche
Protagonistinnen für den Film. Also mache ich mich auf in das Viertel Sacromonte, dorthin, wo die meisten Gitanos der Stadt leben. Sie sind die Schöpfer
des andalusischen Blues. Die Leidenschaft, mit der sich die Sänger in die Geschichten der Lieder hineinversetzen, fasziniert mich, seit ich das erste
Mal in einem Flamenco Tablao war. Jaime war es, der mir damals in der Bar Eshavira erklärte, um was es in den Stücken ging. Die Zutaten waren immer die
gleichen: eine schwache, wunderschöne Frau, ein weiser, leidenschaftlicher Mann und ein große, aber meist unmögliche Liebe. Jaime ist ein Liebhaber des
Flamenco, deshalb kam er oft sonntags nach Granada, wenn im Eshavira eine Aufführung anstand. Das ernsthafte Mienenspiel und die filigranen
Handbewegungen der Tänzerinnen, die in Andalusien jedes kleine Mädchen nachahmt, wenn Flamenco ertönt, wollte ich seitdem auch können.
    In dem Viertel Sacromonte drängen sich niedrige Häuser an die steilen Hänge des Tals Valparaíso, im Osten von Granada. Die flachen Häuser sind aber
nicht so klein, wie sie aussehen: Die Gitanos haben den Fels ausgehöhlt, um mehr Platz zu schaffen. Im 16. Jahrhundert ließen sich hier die
Ausgegrenzten der damaligen Gesellschaft nieder. Dazu gehörten neben Mauren und Juden auch die Gitanos, die gerade in Andalusien angekommen waren –
angeblich aus Indien. Der Legende nach sollen die Andersgläubigen ihreSchätze zwischen den Olivenbäumen im Tal Valparaíso versteckt
haben, als die Katholischen Könige sie im Jahr 1570 endgültig aus Spanien vertrieben, weil sie nicht alles mitnehmen konnten und weil sie davon
ausgingen, bald wiederzukommen. Als die Gitanos dann allein zurückblieben, sollen sie auf der Suche nach den Schätzen die Höhlen in den Berg gegraben
haben, in denen sie heute noch immer leben. Auch jetzt noch sind die Gitanos eine Randgruppe in der spanischen Gesellschaft. Die Arbeitslosenzahl liegt
bei ihnen wesentlich höher als in der übrigen Gesellschaft, sie machen viel seltener Abitur als die Payos, wie die Gitanos die übrigen Spanier nennen,
und auch die Statistik der Drogenabhängigen führen sie an. Flamencospektakel für Touristen locken heute in Scharen Urlauber nach Sacromonte; die
Gitano-Folklore ist gefragt. Aber auch wenn tatsächlich viele Lokale für die Touristen eingerichtet worden sind, schlägt hier wirklich das Herz des
Flamenco.
    In den Gassen von Sacromonte fühle ich mich wie in einem Dorf. Kaktusfeigen krallen sich an die Felswände, die Häuser haben alle nur eine Etage, auf
den flachen Dächern flattert zum Trocknen aufgehängte Wäsche im Wind. Auf einem der kleinen Plätze des Viertels treffe ich auf eine Gruppe junger
Mädchen, die zusammensitzen und plaudern. „Hola, kennt ihr jemanden, der Flamenco-Unterricht gibt?“, frage ich sie. Die Mädchen kichern. Anscheinend
finden sie die Vorstellung, dass ich als Ausländerin Flamenco lernen will, komisch. Kurz bin ich verunsichert, aber so schnell lasse ich mich nicht von
meinem Vorhaben abbringen. Nachdem ich noch mal nachfrage, erbarmt sich eines der Mädchen

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