Ein Jahr in New York
werden?“, fragte ich. „Nicht ohne Grund seid ihr Deutschen für eure Versicherungsmentalität bekannt“, schmunzelte Jonathan.
Das Publikum fing an zu klatschen. Die Oper begann, und ich fragte mich, wie viele New Yorker auf dieser Wiese wohl nicht versichert waren.
Dann piepte mein Handy. Eine Textnachricht. Von Ian. Dem Typen vom Bryant Park. Seine Frage: „Sehen wir uns nächste Woche wieder im Bryant Park?“ Meine Antwort: „Vielleicht.“
Juli
I M J ULI bekam ich dann doch noch, wenn auch sechs Monate später, ein Feuerwerk präsentiert. Nicht frierend in einer kalten Silvesternacht, sondern mitten an einem lauen Sommerabend.
Die ganze Stadt feierte „4 th of July“, den amerikanischen Unabhängigkeitstag. Dabei dachte niemand an die historische Vertragsabzeichnung im Jahre 1776, die Geburtsstunde der Vereinigten Staaten von Amerika. Der Moment, als sich die Kolonien von der britischen Krone trennten. Außer unseren beiden Nachbarn vielleicht. Die hatten ihre Vorgärten in ein buntes Patriotenbiotop verwandelt. Wohin man auch sah: amerikanische Nationalflaggen als Fähnchen, Baumschmuck und Beleuchtung.
Für den Rest New Yorks war „Independence Day“ ein Film von Roland Emmerich und der 4. Juli der Tag, an dem man Barbecue-Orgien veranstaltete. In der ganzen Stadt wurde gegrillt. Und dann, um 21.20 Uhr, schossen zur Feier des Tages am East River zwischen der 23. und 42. Straße und Downtown am South Sea Port 30 000 funkelnde Feuerwerkskörper in den Himmel.
Valerie und ich hatten beschlossen, selbst eine Barbecue-Party zu geben. Schließlich hatten wir einen eigenen Garten und die beste Aussicht auf Manhattan, somit aufs Feuerwerk, nur ein paar Straßen entfernt.
„Ich habe keine Ahnung, wie beeindruckend bei euch das Silvesterfeuerwerk ist, aber ich verspreche dir: HeuteAbend wirst du staunen. Das ‚4 th of July‘-Feuerwerk in New York kann sich sehen lassen“, kündigte Valerie an. Wir standen in der Küche und schnippelten Tomaten, Avocado und Zwiebeln für die Beef- und Veggieburger und Erdbeeren für die Bowle. „Es ist das größte im ganzen Land“, fuhr Val fort.
Das pyrotechnische Spektakel in New York wurde von der Kaufhauskette Macy’s veranstaltet und landesweit im Fernsehen übertragen. In der Stadt der Superlative durfte man sich schließlich nicht lumpen lassen. Irgendwo hatte ich gelesen, dass Macy’s jedes Jahr mehr als 500 000 Dollar in die Luft jagt. Privates Rumballern war dagegen verboten.
Wir hatten die übliche Runde eingeladen. Und Ian.
Ich war seiner SMS-Einladung in den Bryant Park gefolgt und hatte mir zwei weitere Filme unter freiem Himmel mit ihm angeschaut. Auf ein und derselben Picknickdecke. Seitdem bombardierte er mich mit Anrufen und der Frage, wann er mich denn endlich mal zum Essen ausführen dürfe.
„Ian ist echt ein netter Typ, aber mehr auch nicht“, sagte ich zu Valerie. „Wenn ich mit ihm essen gehe, denkt er sicher, dass wir daten, oder?“
„Natürlich, was denn sonst“, grinste Valerie, als hätte ich darauf hingewiesen, dass Wolkenkratzer ziemlich hoch sind.
Genau deshalb, um einem Rendezvous zu entgehen, falschen Schlüssen vorzubeugen und trotzdem nicht unhöflich zu sein, hatte ich ihn erst mal auf unser Barbecue eingeladen.
„Wenn du jetzt denkst, dass es harmloser war, ihn heute einzuladen, irrst du dich gewaltig. Der denkt ganz sicher, du möchtest, dass er deine Freunde kennenlernt. Nachamerikanischen Regeln wäre das heute übrigens euer drittes Date“, nahm mir Val den Wind aus den Segeln.
„Bitte was? Wir haben uns noch nicht mal geküsst! Außerdem hat er bisher immer angerufen. Ich habe nicht ein einziges Mal seine Nummer gewählt. Das ist meinerseits doch mehr als eindeutig, oder etwa nicht?“, fragte ich hoffnungsvoll. „Na ja, er denkt wahrscheinlich, dass du die ‚Willst du gelten, mach dich selten‘-Methode angewendet hast. Offensichtlich ja auch mit Erfolg“, konterte Val und grinste.
„O Gott, wirklich? Und was mach ich jetzt? Ausladen kann ich ihn wohl nicht mehr“, erwiderte ich und ärgerte mich über diese verdammten Dating-Regeln, in deren Dickicht ich mich verirrt hatte, bevor ich überhaupt wusste, dass ich datete.
„Zieh dir bloß nichts mit eindeutigem Ausschnitt an oder irgendein extrem hübsches Kleid, das Signale sendet“, war Valeries Rat. „Signale? Muss ich heute im Jogginganzug durch die Gegend laufen?“, scherzte ich. „Zum Beispiel“, sagte Valerie, und wir mussten beide
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