Ein Jahr in New York
lachen.
Nachmittags um vier schmissen wir den Grill an. Das würzige Barbecue-Aroma hing schon seit Stunden in der Williamsburger Luft. Aus den Gärten und von Dächern sah man Rauchschwaden in den Himmel steigen.
Unsere Gäste brachten Wein, Salate, Brot, Bier, Nachtisch und andere Gäste mit. Außer Ian. Er kam allein und streckte mir einen großen Strauß Blumen entgegen. Ich lächelte ihm verlegen entgegen, bevor ich mich hilfesuchend umschaute, in der Hoffnung, Blickkontakt mit Valerie aufzunehmen. Diese Blumen waren doch sicher ein weiterer Hinweis auf seine Absichten.
Statt Valeries Blick traf mich Jonathans. Er lächelte und hatte die Situation sofort durchschaut. Wortlos flehte ichihn an, sein zynisches Kommentieren zu unterdrücken. „Ich habe sogar vegetarische Hot-Dog-Würstchen für euch Vegetarier mitgebracht. Ihr Krauts steht doch auf Wiener (Würstchen), oder? Auf jeden Fall war es ein Deutscher, der hier die ersten Hot Dogs verkauft hat“, sagte er stattdessen. Ich nickte wortlos und dankbar.
„Heute findet doch auch das jährliche Wettessen bei Nathan’s in Coney Island statt. Ich glaube, der Rekord liegt mittlerweile bei 53 Hot Dogs in zwölf Minuten“, warf Ian ein.
Jonathan nickte anerkennend. „Ja, das wollte ich mir immer schon mal live ansehen“, sagte er. „Wir können uns das Ganze ja gleich im Fernsehen anschauen.“
„Hier wird aber auch wirklich jeder Unsinn im Fernsehen übertragen“, mischte ich mich in die Hot-Dog-Konversation ein. „Unsinn?“, wiederholte Jonathan empört. „Nathan ist Tradition und kein Unsinn.“ 1916 hatte ein Mann namens Nathan Handwerker seine erste Hot-Dog-Bude an der Promenade in Coney Island, Brooklyn eröffnet. Noch im selben Jahr gerieten dort vier Immigranten an der Theke in einen Streit. Der Grund: Jeder behauptete von sich, patriotischer zu sein als die anderen drei. Also beschloss man, dass derjenige, der Amerika zu Ehren die meisten Hot Dogs verdrückte, sein Heimatland am meisten liebte. Unsinn, wie schon gesagt. Aber ein New Yorker „4 th of July“-Ritual war geboren und „Nathan’s“ wurde mit Millionen verkaufter Hot Dogs zu einer der erfolgreichsten Fast-Food-Ketten Amerikas.
Unser Garten war voll. Mit Menschen, Hamburgern, Bierdosen, Partystimmung und Madonnasongs. Aus unserem kleinen CD-Player dröhnte „Material Girl“ über den Esstisch hinweg. Valerie und ich veranstalteten einen Staffellauf zwischen Küche und Garten. Irgendetwas fehlteimmer. Wir rannten die Treppen rauf und wieder runter. Mir war das ganz recht. So hatte ich jederzeit einen Grund, plötzlich aufzuspringen, wenn Ians Hand sich mal wieder bis zu meinem Bein vorgetastet hatte. Ich machte mich ganz steif, bevor ich rief: „Ah, Noelle, dein Glas ist ja schon wieder leer! Ich hole grad noch mehr Bowle aus dem Kühlschrank.“
In der Küche stellte mich Vanessa zur Rede. „Warum rennst du heute eigentlich wie ein aufgescheuchtes Huhn durch die Gegend?“
Ich erzählte ihr von meinem Dating-Missverständnis. „Und dann trägt er auch noch diese scheußlichen karierten Shorts“, beendete ich den Bericht über mein Dilemma. „Amerikaner lieben Shorts“, entgegnete sie, „jeder, der schon mal einen amerikanischen Touristen gesehen hat, weiß das. Und den wenigsten steht’s. Das weiß auch jeder.“
„I know, aber Ian sieht darin so lächerlich aus, dass ich mich noch unwohler fühle. Keine gute Grundlage. Gewisse Dinge sollten man einfach nicht enthüllen, wenn man sich noch nicht so gut kennt“, sagte ich. Und blasse, behaarte Beine gehörten eindeutig dazu. „Dann sag ihm doch einfach ganz klar, was Sache ist“, so Vanessas Rat.
Noelle sah die Sache ganz anders. Sie sprach davon, dass dies eine hervorragende Gelegenheit sei zu üben. Üben? Wofür? „Na ja, wenn du kein großes Interesse hast, kannst du die Sache doch ganz unverkrampft angehen. Das ist gut fürs Ego und du kannst ganz ohne Risiko beobachten, wo es euch hinführt. Und wenn’s dir dann irgendwann mal mit einem anderen Typ ernst ist, hast du dich wenigstens schon warmgedatet. Außerdem ist Ian doch ein echt Netter“, empfahl sie mir.
„Nett reicht mir eben nicht. So ganz ohne Prickeln und Schmetterlinge im Bauch, das bringe ich einfach nichtübers Herz“, erwiderte ich, „ich kann mir nicht mal vorstellen, ihn zu küssen.“ Ich fühlte mich für dieses Gespräch mindestens zehn Jahre zu alt.
Die chaotische Aufbruchsstimmung kam mir zur Rettung. Vorerst.
Die einen
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