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Ein Jahr in Paris

Titel: Ein Jahr in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silja Ukena
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ebenfalls. Mehr als einen Futon hier hinauftransportieren zu wollen, wäre Wahnsinn.
    Während unten das letzte Schaf der Herde die erste Stufe betritt, eilt Monsieur fünf Etagen höher bereits einen schmalen Flur entlang. Irgendwo wird eine Tür geöffnet, er stellt sich an den Rahmen und wedelt mit unbewegter Miene die Leute ins Zimmer. Er könnte auch an der Madeleine stehen und den Feierabendverkehr regeln, es wäre ihm genauso gleichgültig.
    Der Raum, in den ich mit einem Dutzend anderer Leute geschleust werde, hat vielleicht fünfzehn Quadratmeter. Am Boden liegt ein hellbrauner Teppich. Jedenfalls halte ich ihn für hellbraun. Bis ich eine Stelle entdecke, an der früher offenbar ein Möbelstück stand. Da ist der Teppich weiß.
    Die Küchenzeile – hier sagt man Kitchenette – ist orangerot, und anscheinend gehört es nicht zu den Mietkonditionen, diese beim Auszug geputzt zurückzulassen. Die Duscheist eine große Plastikkabine, aus der laute Schmatz- und Gurgelgeräusche ertönen, als jemand auf die Idee kommt, das Wasser aufzudrehen.
    Realistisch betrachtet ist das Ganze eine Zumutung. Allerdings eine, die 650 Euro pro Monat kosten soll, Strom extra. An der Tür steht Monsieur und verteilt gelangweilt die Bewerbungsbögen. „Nein, danke“, sage ich im Hinausgehen. Sein mitleidiger Blick verfolgt mich noch bis auf die Straße.

    „Hier ist das Waschbecken, das WC wäre dann am Gang.“

    „Eine Dusche? Désolé , aber eine Dusche ist hier nicht vorgesehen.“

    „Nein, die Renovierung ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Aber wir rechnen jede Woche damit.“

    „Das Zimmer hat früher meinem Sohn gehört. Die Einrichtung müsste natürlich übernommen werden.“

    „Weißt du, es ist uns wichtig, mehr als nur eine Wohngemeinschaft zu sein.“

    Irgendwann war ich bereit, aufzugeben. Sie hatten alle Recht gehabt: Es war die Hölle, es war unbezahlbar, es war Krieg. Eher war ich bereit, die ehelichen Dramen à la Isabelle zu ertragen. Ich hatte hunderte von Kilometern zurückgelegt, mir in Erwartung von Vermietern und Maklern die Beine in den Bauch gestanden, hatte Wohngemeinschaften besichtigt und schließlich ein völlig neues Vokabular erlernt:
    „Ruhig gelegenes Appartement“ bedeutete: Lernen Sie die Qualität ländlicher Vororte kennen.
    „SdD“ hieß vordergründig Duschbad, eigentlich aber: Toilette am Gang.
    „Leicht renovierungsbedürftig“ meinte „Investieren Sie in eine Grundsanierung“.
    Und wenn ein Studio als „ coquet “ umschrieben wurde, dann konnte man sich innerlich auf eine winzige Dachkammer einstellen.
    Das alles für Summen, mit denen ich zu Hause halbe Paläste hätte anmieten können. Am meisten aber erschütterte mich, dass sich niemand darüber aufzuregen schien. Da waren erwachsene Menschen, oft jenseits der dreißig, mit mehr oder minder gesichertem Einkommen, vollkommen einverstanden damit, auf einem Niveau zu wohnen, das man in Deutschland allenfalls während seiner Jahre als Student zu akzeptieren bereit war. „ C’est comme ça. So ist das eben“, sagte einer, den ich angesprochen hatte, als ich ihn zum dritten Mal unter den Bewerbern für ein „hübsches Studio“ entdeckte. „Man wird sehen“, meinte er. „ On verra.“ Auch so ein Pariser Lieblingsausdruck.

    Am Ende funktionierte es wie meistens in dieser Stadt: Ich bekam einen Tipp. Jemand kannte jemanden, der jemanden kannte, der etwas gehört hatte. Und so wählte ich eines Abends eine Telefonnummer im Burgund. Dort hielt sich Monsieur Jacques Piceur, Besitzer einer, wie man mir gesagt hatte, gewaltigen Wohnung im 8. Arrondissement auf. Ein Pariser, der seiner Stadt „endgültig“ den Rücken gekehrt hatte, aber dennoch nicht ganz von ihr lassen konnte, weshalb er seine zweigeschossige Dachwohnung unweit der Opéra Garnier weiterhin unterhielt. Um dem ökonomischen Irrsinn wenigsten etwas entgegenzuhalten – oder vielmehr der Meinung seiner Frau, man werfe unnütz Geld zum Fenster hinaus –, vermietete er einfach ein paar Zimmer unter, schwarz, versteht sich, und am liebsten an junge Menschen. Erstens sparte er sich auf diese Weise lästigen Kontakt mit demFinanzamt, offizielle Einnahmen wären schließlich zu versteuern gewesen, und zweitens konnte er so einigermaßen sicher sein, sich keine Dauermieter ins Haus zu holen. Von der Aussicht, eine Deutsche zu beherbergen, war er regelrecht begeistert. Während er anscheinend telefonierend durch seinen burgundischen Garten stiefelte,

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