Ein Jahr in Paris
passte alles wunderbar. Ich kannte in Deutschland Menschen, die hielten für so eine scheinbar zufällige Mischung von Zeiten und Stilen ihren schwulen Innenarchitekten monatelang auf Trab. Hier hatte die Tatsache, dass sich seit mindestens achtzig Jahren niemand fürs Aufräumen interessiert hatte, von ganz allein dazu geführt. Einmal staubsaugen und die Casa-Vogue-Redakteurin wäre in die Knie gegangen. Aber das war eben genau der entscheidende Punkt: Es wurde nicht gesaugt. Es handelte sich um jene großbürgerliche – und zutiefst französische – Schlamperei, die nur Nationen hervorbringen können, in denen der Protestantismus nie eine Chance hatte. Gaetano war anderer Meinung: „Es liegt an den Römern!“, sagte er. „Nur dort, wo die alten Römer waren, konnten die Menschen ein gelassenes Verhältnis zu Gelage und Müßiggang entwickeln. Ihr Germanen hattet leider nie eine richtige Chance.“ Ich widersprach nicht. Schließlich war Gaetano Römer, und er hatte es auch nicht leicht unter all den Franzosen.
„Willkommen in der Zivilisation. Ich hoffe, du bist verrückt genug, es mit uns auszuhalten.“
Sie hatte mich. Ihre Stimme kreiselte durch mein Ohr direkt ins Herz und noch ehe ich mich versah, hatte ich mich an meinem ersten Abend in der Rue du Rocher in Alix verliebt. Nicht so, wie Sie jetzt vielleicht denken. Es war anders. Man musste Alix einfach lieben, und ich glaube, alle taten das.
So ist Alix: lange blonde Mähne, Stupsnase und Sommersprossen. Ihr Hintern hat genau das bisschen Zuviel, das Männer verrückt macht. Obenrum ist es genauso. Sie sitzt in der Küche und zündet sich eine Zigarette an. Die nackten Beine legt sie auf dem Stuhl gegenüber ab. Sie bläst Rauch in die Luft und sagt: „Wenn ihr wüsstet, was ich heute wieder füreinen Schrott verkauft habe. Aber der Typ wollte unbedingt 10 000 Kröten ausgeben. ‚Junger Nachwuchsmaler‘, habe ich ihm vorgeschwärmt. ‚Total Zen‘, habe ich behauptet. Kunstmarkt, nennt man das. Pffft! Die können sich gleich alle in den Bois de Boulogne stellen.“ 9
So ist Alix. Sie verachtet ihre Kunden und beschert dem Galeristen, für den sie arbeitet, trotzdem massenhaft Prozente. Sie hat immer ein Buch von Simone de Beauvoir bei sich – „Damit wir nicht vergessen, wie man Feminismus richtig schreibt.“ – und verbringt dennoch drei Stunden im Bad, um sich ausgehschön zu machen. Sie ruft nie jemanden zurück, und trotzdem klingelt ständig ihr Telefon. Sie könnte zehn Männer haben und will aber keinen. Alix ist schlampig, paradox, liebenswert und schön. Alix ist Pariserin durch und durch.
Aber zurück zu unserem ersten Abend. Stellen Sie sich ein Gruppenbild vor. So einen Schnappschuss, den man in der Küche macht, wenn alle um den Tisch herum sitzen: Die runde Korblampe ragt ins Bild, jemand hat eine Flasche Roten geöffnet, Wassergläser. Ganz links, das war also Alix. Nun zu Jean-Luc. Er war Kunsthistoriker und arbeitete im Stadtmuseum. Und genau so sah er auch aus. Sein bevorzugtes Kleidungsstück war der Pullunder, seine Zeitung „Le Monde“, das Vademecum der seriösen Mitte. Er war einer von diesen ernsthaften jungen Männern, die außerhalb von Archiven und Bibliotheken immer ein wenig deplatziert wirken.Was dazu führt, dass man sie leicht unterschätzt. Außer Kater Paul schien er an niemandem besonders zu hängen. Er hatte ihn vor ein paar Jahren geschenkt bekommen, als kleines rundes Fellknäuel, das immer lustig über den Boden kullerte. Erst später stellte sich heraus, dass Paul selten mehr als zwei Meter geradeaus gehen konnte. Eine angeborene Gleichgewichtsstörung verhinderte ein normales Katerleben auf den Dächern von Paris. Deshalb musste man immer darauf achten, Fenster und Türen geschlossen zu halten, sobald Paul in der Nähe war. Mir schienen beide, Kater und Jean-Luc, ein wenig anstrengend, weshalb ich etwas zögerlich zusagte, als Letzterer mich einlud, ihn doch mal im Musée Carnavalet zu besuchen. „Métro Saint-Paul“ , sagte er. „Das ist leicht zu merken. Du musst nur an den Kater denken.“
„Uh, la barbe!“ , 10 machte Alix. „Geh da bloß nicht hin, das gibt eine dicke Staublunge.“
Jean-Luc schwieg beleidigt. Alix kicherte. Dann sagte sie: „Alors, je suis crevée! Je me sauve.“ 11
Am nächsten Tag wollte ich mich der Concierge vorstellen. Ich dachte, das wäre besser so. Immerhin gab es in diesem Haus noch eine. Im Unterscheid zu vielen ihrer Kolleginnen, die heute oftmals
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