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Ein Jahr in Paris

Titel: Ein Jahr in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silja Ukena
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erzählte er mir die reichlich verwickelte Geschichte seiner Deutschland-Affinität. Da es aus dem Hörer sehr rauschte, verstand ich nicht ganz, ob es um den Ersten oder den Zweiten Weltkrieg ging oder doch um einen Studienaufenthalt seiner jüngeren Tochter. Am Ende jedenfalls hatte ich eine Adresse und einen Türcode notiert und würde sofort einziehen können. Ich solle mich an Jean-Luc halten, so Monsieur. Der wisse Bescheid, sei ein hoch talentierter Nachwuchswissenschaftler und außerdem „un grand organisateur“ und würde mir alles zeigen. „Bonne Chance!“ , schrie er zum Abschied, und ich dachte, dass noch mehr Glück, als ich gerade gehabt hatte, eigentlich nicht nötig wäre. Vergessen Sie also jetzt Arnaud und Isabelle, sie haben ja eigentlich sowieso keine Rolle gespielt.

    „ Oui? “
    Die schwere Holztür öffnet sich gerade so weit, dass ein paar ungekämmte Locken und eine Brille sichtbar werden.

    Es hatte vielversprechender begonnen. Der Türcode, der in Paris an den meisten Häusern die Klingel ersetzt, funktionierte, 7 und das ehemalige Kutschentor öffnete sich zu einem großen Hof. Der seitliche Aufgang war mit Blumenkübelngeschmückt, marmorne Treppen führten hinauf. In der Eingangshalle warfen mannshohe Spiegel einem das eigene Bild hundertfach zurück und machten mir, die ich in Jeans und Turnschuhen auf dem grünen Läufer stand, unmissverständlich klar, dass dieses nach Politur und Bienenwachs duftende Treppenhaus für andere Menschen aus anderen Zeiten gebaut worden war. Für raschelnde Seidenroben war es gemacht und Damen, die einen letzten prüfenden Blick auf ihre selbstverständlich wundervolle Erscheinung werfen konnten. Oder Herren, die auf dem Weg zu ebensolchen Damen noch schnell ihren Schnurrbart glattstrichen, um dann zwei Stufen auf einmal nehmend die breite Treppe hinaufzueilen. Einer wie der Dichter Charles Baudelaire hätte gut hierher gepasst, mit seinem schönen Zylinder und einem am Knauf von Elfenbein verzierten Spazierstock. Oben angekommen hätte er dann bereits an der Türschwelle einen Vers hingeworfen – „In ihrem Kleid, das wie Perlmutter schimmert, scheint sie zu tanzen, selbst wenn sie nur geht ...“ 8 – und die Damen wären dahingeschmolzen.

    Leider habe ich in diesem Moment keinen Baudelaire parat, und selbst wenn wäre zu bezweifeln, dass mein Gegenüber wenigstens mal die Tür aufmachte. Ich versuche es ganz konkret mit: „Hallo, ich bin die Neue. Bist du Jean-Luc? Monsieur Piceur sagte, du wüsstest Bescheid, dass ich komme.“
    Stöhnen im Türspalt. „Moment, ja. Augenblick.“
    Bienvenue, denke ich und warte, bis er wieder auftaucht.
    „Entschuldige, komm rein. Ich musste nur eben Paul ins Zimmer bringen.“
    ???
    „Mein Kater. Er fällt sonst immer die Treppe runter.“
    „Er fällt die Treppe herunter?“
    „Er ist keine normale Katze, weißt du. Er ist ein bisschen krank. Ihm fehlt der Gleichgewichtssinn.“
    Na fein, denke ich, deine neuen Mitbewohner sind ein kommunikationsgestörter Nachwuchswissenschaftler und eine behinderte Katze, und offenbar ist niemand über deine Ankunft informiert.
    „Tja, also, das kommt öfter vor. Er vermietet immer, ohne uns Bescheid zu sagen. Aber du hast Glück. Im Moment sind sogar zwei Zimmer frei.“

    Eines dieser Zimmer wurde also meines. Es hatte Parkettboden, und wenn ich morgens die Augen öffnete, konnte ich in der Ferne den Eiffelturm sehen. Ich glaubte mich im Paradies. Zwar ließ sich der gewaltige Kleiderschrank aus Nussbaumholz nicht öffnen, und die beiden bröseligen Ölgemälde an der Wand – die vermutlich Piceur’sche Urahnen darstellten – waren der Angsttraum eines jeden Restaurators, aber ich fand das alles wahnsinnig romantisch. Ich schob meinen Koffer unter den Schrank und Jean-Luc, der wahrscheinlich ähnlichen Kummer gewohnt war, brachte mir kommentarlos einen „stummen Diener“, auf dem ich allabendlich meine Kleidung für den kommenden Tag vorbereitete. Als mir einmal eine Münze herunterfiel und unter das riesige Doppelbett rollte, fand ich dort zwischen urzeitlichen Staubschichten einen alten Militärorden, auf dem die Jahreszahl 1918 eingraviert war. Aber da kannte ich Monsieur Jacques schon und wunderte mich über gar nichts mehr.
    Der Rest der Wohnung: gewaltige Möbel, japanische Holzschnitte, chinesische Vasen, provençalische Stoffe, abgewetzte Perserteppiche. Kurz: der Sieg der Patina über das Neue. Nichts passte wirklich zusammen, aberzusammengenommen

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