Ein Jahr in Paris
und Badezimmer, fünfte Etage ohne Fahrstuhl, Métro Sèvres-Lecourbe. 800 € pro Monat. Strom und Versicherung extra.“
„Studio, ca. 20 qm. Sonnig, Südseite. Sauberes Haus, Fenster zum Hof. Sechste Etage ohne Fahrstuhl. Nähe Métro Jaurès. 620 €, plus Nebenkosten.“
So ging das seitenlang weiter. Grob vereinfacht hatte ich genau zwei Möglichkeiten. Entweder: ein kleines Vermögen zu zahlen für zwanzig Quadratmeter Hinterhaus unterm Dach. Oder: ein kleines Vermögen zu zahlen für anderthalb Zimmer in den Vororten. „ Proche Banlieue “ heißt das etwas beschönigend, aber wenn irgendwo die drei Buchstaben RER auftauchen, dann bedeutet das mindestens eine halbe Stunde Zugfahrt. Die RER (ÄR-Ö-ÄR, Profis sprechen das mit gespitzten Lippen und, wie sich versteht, in einem Affenzahn) ist nämlich der Pariser Pendlerzug, der als Pendant zur Metro jeden Tag hunderttausende von Menschen in den Bauch von Paris befördert. Ein Streik bei der RER würde vermutlich die halbe Stadt lahmlegen.
Aber war ich nach Paris gekommen, um „Pendlerin“ zu werden? Um morgens und abends in Gegenwart übermüdeter Familienväter und Marionnaud-Verkäuferinnen wertvolle Zeit zu verschwenden?
„Ich muss laufen, le dernier métro , die letzte Metro!“ war ein Satz, den ich oft sagen wollte.
„ Excusez-moi , ich muss den RER noch erwischen“ passte definitiv nicht in das Repertoire mondäner Sätze, das ich mir für mein Leben als Pariserin zurechtgelegt hatte.
Bon, ich würde also avaler la pillule , in den sauren Apfel beißen, und mir eine Abstellkammer für 700 Euro mieten. Oder ein Studio. Den Ausdruck kannte ich schon. Studioist ein Euphemismus, wie er nur in Paris erfunden werden konnte. Es handelt sich dabei um nichts anderes als ein größer geratenes Zimmer, meist liegt es unterm Dach. Dann sagt man auch chambre de bonne . Früher lebten dort Dienstboten, Verkäuferinnen und Küchenmädchen. Zu mehreren, versteht sich. Heute haben schlaue Hausbesitzer in diese bonnes chambres Küchenzeilen, Toiletten und meist etwas wacklige Duschkonstruktionen eingebaut; dazu eine elektrische Heizung – et voilà : un studio.
17. Arrondissement. Eine typische Pariser Straße. Sechsstöckige Mietshäuser aus dem 19. Jahrhundert, ein Bäcker, ein traiteur , ein Laden für Nagelmodellage (es kann auch ein Geigenbauer, ein Hundecoiffeur oder eine Eisenwarenhandlung sein – auf jeden Fall irgendeine Art von Geschäft, das in deutschen Städten längst keine Existenzgrundlage mehr hätte). Schon beim Einbiegen in die Straße, in der mein künftiges Zuhause sein soll, sehe ich es: ein verdächtiges Knäuel von Menschen. Sie gehören zu der bemitleidenswertesten, am meisten gedemütigten Spezies, die ich kenne. Es sind Wohnungssuchende. Die ersten treffen etwa eine Stunde vor dem angekündigten Termin ein. Erstens um die Plätze in Türnähe zu besetzen, zweitens der sich eventuell bietenden Chance wegen, ein paar vertrauliche Worte mit dem Makler zu wechseln. Manche versuchen es auch mit ein paar Scheinen. Ich bezweifle, dass irgendeine Methode zum Erfolg führt. Andererseits: Irgendwie muss man sich schließlich positiv von der Masse der geschätzten 65 Mitbewerber abheben.
Kurz vor dem Termin sind die meisten schon da. Eine zusammenhanglose Gruppe von Menschen, die möglichst unbewegt in die Abendluft oder ihre Zeitung starrt. Das soll heißen: Ich habe es wirklich überhaupt nicht nötig, aber ich sehe mir das Studio trotzdem mal an.
In der Nähe schlägt eine Kirchenglocke, die Spannung steigt spürbar. Fünf Minuten vergehen, zehn, fünfzehn. Um zwanzig nach erscheint plötzlich ein kleiner Mann mit Klemmbrett. Er ignoriert alle komplett, lässt dann aber doch das Eingangstor offen, damit die Masse auch hinein kann. Es folgt ein kleiner Plausch mit der Concierge. „Bonsoir Madame!“ „Bonsoir Monsieur!“ Ça va? Wie geht’s? Was machen die Kinder? Was für ein schöner Tag heute, nicht wahr, und das so früh im Jahr?! Etc. etc. Irgendwann sind alle wichtigen Neuigkeiten ausgetauscht, und Monsieur schreitet wie zufällig über den Hof in Richtung einer uralten braunen Tür. Eine Holzstiege führt aufwärts. Sie ist so schmal, dass hier – politisch korrekt oder nicht – übergewichtige Bewerber bereits ausscheiden würden. Vielleicht ist diese Vermietungspraxis aber auch nur eine weitere Art, sich die Amerikaner vom Leibe zu halten. Wie dem auch sei, die Frage des Möbelkaufs erledigt sich an dieser Stelle
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