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Ein Jahr in Paris

Titel: Ein Jahr in Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silja Ukena
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ein gewöhnlicher Wochentag. Alle haben hart gearbeitet, alle wollen schnell nach Hause. Aber nun kommt es zwischen Pont de la Concorde, Quai d’Orsay und Boulevard Saint-Germain zu dem, was der Franzose embouteillage nennt, manchmal, wenn es drastischer ist, auch bouchon . Das bedeutet Stau, zugleich in der Sprache der Winzer aber auch „Abfüllung“ und „Korken“. Weshalb es in der abendlichen Hitze des Asphalts nicht selten auch zur Gärung kommt. Und in der Regel dauert es nicht allzu lange, bis sich angesichts dessen, dass man eingepfropft zwischen einem Haufen Idioten feststeckt und nichts mehr geht, der Emotionsstau Bahn bricht. Dann wird das Fenster heruntergekurbelt, und man teilt einander ungefiltert mit, dass man sich für eineninkompetenten Trottel hält. Die Hupe verleiht den Gefühlen zusätzlichen Ausdruck. Bald geht es hoch her, nur die Wachen der Assemblée Nationale versehen, ohne mit der Wimper zu zucken, stoisch ihren Dienst. Jetzt ist der Moment gekommen, an dem ein Flic am Knotenpunkt auftaucht. Mindestens 1,90 Meter groß ragt er aus der Menge hervor, ein Farbiger mit weißen Handschuhen und Trillerpfeife. Wie ein Dirigent nimmt er die Sache in die Hand, fuchtelt und pfeift, richtet nichts aus, das aber mit sichtlichem Genuss. Er nämlich ist hier derjenige, der von Amts wegen Recht hat, und so ist es ihm auch gestattet, allen Beine zu machen: „Avancez! Avancez! Vous débutants!“ – Vorwärts, ihr Anfänger, auf geht’s!

    Der Anfänger in Paris sollte es genauso machen. Es gibt so vieles, das einen einschüchtert (falls man nicht gerade aus Mexico City einreist): der Verkehr; die Menschen, deren Verhalten allzu oft zwischen Ruppigkeit und Arroganz zu wechseln scheint; die Sprache, die selbstverständlich nichts mit dem zu tun hat, was man in der Schule lernt; die schiere Größe der Stadt. Doch wer sich davon beeindrucken lässt, der hat verloren. „Sie testet dich“, sagte Gaetano, der von Paris oft wie von einer schwierigen Frau sprach. „Wenn sie dich anfaucht, musst du zurückfauchen. Dann hast du irgendwann bestanden.“ Tatsächlich scheint es einen Punkt zu geben, an dem sich etwas verändert. Dann stehen Sie eines Tages am Boulevard Saint-Germain, innerlich darauf eingerichtet, dass es Stunden dauern wird, bis sich eine winzige Chance bietet, die Seite zu wechseln, als plötzlich das Unerwartete eintritt: Ein Pariser bremst ab und bedeutet Ihnen freundlich (!), doch vor ihm die Straße zu überqueren. Wie es dazu kommt? Nun, Sie haben den Test bestanden. Sie wirken nicht mehr wie eine Touristin. Wie man das macht? Keine Ahnung, fragen Sie mich später noch mal.
    Zunächst einmal sehen Sie mich die heiligen Hallen der Universität Sorbonne betreten (genau genommen ist es ein Nebengebäude). In neuen Schuhen, versteht sich. Schwarze Ballerinas, irre bequem und doch elegant. Es ist 8.30 Uhr, und mit mir sind hunderte auf demselben Weg. Unser Ziel sind nicht wirklich die altmodischen Klassenzimmer, sondern eigentlich die Feinheiten der französischen Sprache. „Salut!“ , tönt es hinter mir. Jeder Franzose wäre angesichts dieser Lautstärke zusammengezuckt. Es ist Marc. Er ist Amerikaner und Philosoph. Er hatte es damals an der Universität von Pittsburgh als Sartre-Spezialist schon einigermaßen weit gebracht. Dass er kein Wort Französisch sprach, schien dort niemanden weiter zu stören. Bis er eines Tages selbst den Ehrgeiz entwickelte, „seinen Sartre“ auch im Original lesen zu können. Zu diesem Zeitpunkt allerdings waren wir alle davon noch einigermaßen weit entfernt. „Débutants C“ hieß unser Kursniveau. Was nicht völlig peinlich war. Es gab noch die Débutants D und E, so hatte man immer jemanden, auf den man herabblicken konnte. Bei Marc allerdings war mir nicht ganz klar, wie er diese beiden Stufen hatte überspringen können. „Salut“ war nämlich tatsächlich sein mehr oder minder einziges Wort Französisch – er sprach es „Säljut“ aus und jedes Mal, wenn er sich im Unterricht zu Wort meldete, breitete sich auf dem Gesicht unserer Lehrerin Mademoiselle de la Chapelle ein schmerzlicher Ausdruck aus, so als habe sie plötzlich schreckliches Zahnweh. Es gibt wahrscheinlich nur wenige Dinge, die für Franzosen schlimmer sind, als Ausländern ihre Sprache beibringen zu müssen. Aber irgendwer muss es ja tun. Bei Marc allerdings schien alles verloren, ihn verstand niemand. Was aber auch daran liegen konnte, dass nicht vorhandenes Französisch

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