Ein Jahr in Stockholm
Ich rufe noch an. Café Maria.
Puh! Ich muss gerne – auch weil es dort die besten Zimtkringel der Stadt geben soll. Vor allem aber bin ich nervös. Gott sei Dank liegt zwischen mir und dem Kitschtag für Verliebte ein langes, langes Wochenende.
Da trifft es sich gut, dass ich Abwechslung bekomme und mich dringend schick machen muss: Ich bin zu einem byffé im stadshuset auf der Insel Kungsholmen geladen. Ich hatte mich an der Uni als Austauschstudentin eingeschrieben, da ich mir einen Kommilitonen wünsche, der Deutsch mit mir sprechen möchte und gleichzeitig mein Schwedisch verbessert. Für diesen Aufwand werde ich sogleich belohnt: Die Stadt begrüßt und bewirtet jeden ausländischen Studenten persönlich im Rathaus – dort, wo sonst nur die Nobelpreisträger und die königliche Familie zum Bankett kommen dürfen. Ich fühle mich also ausreichend gewürdigt.
Caro zählt zum arbeitenden Volk und hat keine Einladungerhalten, will aber auch dabei sein. Und so marschieren wir gemeinsam über den Innenhof und fühlen uns unter den Bögen romantischen Stils wie in Italien. Zurzeit ist offensichtlich alles und jeder romantisch.
Die Damen am Eingang nehmen es ziemlich genau mit der Passkontrolle. Wir gehören aber zu den wenigen in der Masse, die den Dresscode beachtet haben und weder Jeans noch Sneakers tragen. So stehen wir bald vor endlosen Tischreihen mit Hühnchencurry, Lachs und Nudelsalat. Das entschädigt mich dafür, dass der Blaue Saal ganz und gar nicht blau ist. Im Gegensatz zu ein paar Studenten, die sich mit aller Kraft an der Weinbar festhalten, um nicht umzukippen.
Aus der Menge tritt ein Mann an uns heran, der eine Kette voller Goldmünzen um den Hals hängen hat, was mich an Pippi Langstrumpf und ihre Schatzkiste erinnert. Als ich mir gerade eine Gabel Pasta in den Mund stecke, streckt er mir seine Hand entgegen und sagt: „ Tjena , ich bin Bo.“
Ich erkläre ihm, wer ich bin, was er aber wohl nicht verstehen kann, weil mein Mund gerammelt voll ist. „Schmeckt es denn gut?“, fragt er fürsorglich. „Hast du Freude?“ Ich versichere, dass ich einen ausgesprochen schönen Abend habe. Um mein Interesse am so freundlich bereitgestellten Essen zu demonstrieren, schlucke ich hastig die Nudeln und frage: „Gibt es eigentlich ein Dessert?“ Das weiß Bo nicht. „Vielleicht oben im wunderschönen Goldenen Saal mit dem Mosaik aus 18 Millionen Gold- und Glassteinen.“ Aha, offenbar ist er nicht direkt fürs Essen zuständig. Er unterhält die Gäste und schaut, dass es jedem gut mundet und keiner enttäuscht nach Hause gehen muss. Das ist doch mal ein Catering-Service!
Im Nebenberuf ist Bo übrigens Stockholmer Bürgermeister, wie ich am kommenden Morgen aus der Zeitung Dagens Nyheter erfahre. Gott sei Dank bin auf dem Foto nicht ich zu sehen, wie ich auf Zehenspitzen balancierend an ihmvorbeistiere, um durch das Geländer im oberen Stock vielleicht einen Blick auf eine Eistorte zu erhaschen.
Das Duzen in Schweden ist anfangs irritierend, weil es die Hierarchien und Machtverhältnisse, auf die der Deutsche geprägt ist, unsichtbar werden lässt. Da kann es passieren, dass ein gewöhnlicher Bo mitunter über zwei Millionen Großraumschäfchen wacht, ohne dass ich es bemerke. Jetzt bin ich eines davon, weshalb mir ein solch peinlicher Fehler nicht mehr unterlaufen darf.
Ich sitze nach: Im Internet studiere ich die Gesichter und Namen von Ministern, Fernsehgrößen und Mitgliedern des Königsclans. Olof Palme war es, der das Du in Schweden gesellschaftsfähig gemacht hat. Dadurch ist der Umgang miteinander herrlich unkompliziert. Carl Gustaf darf ich nicht duzen, seine Silvia und Kronprinzessin Victoria aber wohl schon – falls ich einmal in Verlegenheit kommen sollte, mich bei ihnen nach den Nachspeisen zu erkundigen. Gut, ich bin halbwegs im Bilde, und Caro ist damit einverstanden, dass wir mich wieder auf die Gesellschaft loslassen.
Es ist der besagte Donnerstag für konsumorientierte, kaufkräftige Verliebte, und ich werde immer zappliger. Weil ich mir selbst auf die Nerven gehe, versuche ich die Zeit bis zu Lars’ Anruf in der Stadt zu vertreiben. Auf Gamla stan soll irgendein Wintersport getrieben werden. Klingt spannend. Ich mache mich auf den Weg.
Auf einer Piste um den städtischen Palast sprinten Langläufer um die Wette. Schon von weitem höre ich das Gleiten der scharfen Bretterkanten im Schnee. Der kam bislang immer zuverlässig vom Himmel, aber auch ihm ist es in diesen
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