Ein Jahr in Stockholm
die Pauke. Er gibt vor, täglich einen kleinen Marathon zu laufen und praktisch nur Vitamine zu essen, aber dennoch seit geraumer Zeit nicht mehr richtig schlafen zu können. Vor meinem inneren Auge erscheint das Bild aus Gröna Lund. Aus dem Versuch, mein Lachen zu unterdrücken, entwickelt sich ein Schluckauf, der auch einen Gesundheitscheck überdauert, bei dem ich auf dem Hometrainer versage. Ich hoffe, mit der Prüfung verhält es sich anders. Tobias jedenfalls ist trotzallem der Meinung, dass mir und der Schlafmütze zu meiner Linken nichts Ernstes fehlt.
Ich selbst bin von meinem Sprachfluss überrascht, und auch Sverker, der wieder Gestalt annimmt, freut sich über unsere Alltagstauglichkeit. Die Praxisgebühr würde er uns demnächst an der „blauen Pforte“ zurückerstatten, versichert er zum Abschied. Ich mache mich auf alles gefasst.
Daheim erwarten mich traurige Nachrichten. Caro hat eine Zusage aus Malmö bekommen. In zwei Wochen wird sie die Stadt auf den Inseln gegen die Stadt am Strand eintauschen. Schweren Herzens zwar, aber für die größere Nähe zu ihrem Freund, einen weniger dunklen und kalten Winter und für einen verlockenden Job als Veranstaltungskoordinatorin.
Ich lasse sie ziehen, ohne darauf herumzureiten, wie weh es mir tut.
Ich kann sie verstehen, ohne zu wissen, wie ich mich am Ende entscheiden werde.
Statt mit alledem zu hadern, feiern wir bei einem Konzert in der Pet Sounds Bar auf Södermalm das Leben und die Überraschungen, die es für uns bereithält.
Apropos: Linnéa ist nach einem Sprachaufenthalt in Spanien, den ihr Gunilla spendiert hat, wieder in die WG eingezogen. Das erkennen wir daran, dass bei unserer Rückkehr die Weinflasche im Kühlschrank und sämtliche Handtücher aus dem Bad fehlen. Der große Tisch in Caros Zimmer ist gegen einen kleinen ersetzt worden. In meinem Raum steht der Fernseher plötzlich auf dem Boden – Linnéa hat tatsächlich das Mahagoni-Kästchen mitgehen lassen. Außerdem fehlt meine Bettwäsche. Jetzt würde mir der Doktor Herzrhythmusstörungen attestieren. Irgendwie beneide ich Caro, dass sie dieser Zumutung auf zwei Beinen und ohne Nase so einfach entkommt.Ich fahre auf Kur. Ein dicker weißer Dampfer nimmt Lars und mich mit nach Sandhamn – eine der 24 000 Inseln in den Stockholmer Schären und vielleicht auch die bekannteste. Jedenfalls für Segler. Lars will windsurfen und zelten; er braucht wieder Frieden und Ruhe außerhalb der Hauptstadt. Ich freue mich auf ein Wochenende in reizvoller Natur ohne zivilisatorischen Luxus und kleptomanische Mitbewohner. Die Sache ist nur die: Der Sommer ist Geschichte, und nachts fallen die Grade auf den Gefrierpunkt.
„Ja. Und?“, hatte Lars gefragt. „Jetzt ist die allerbeste Zeit. Die Touristen sind verschwunden.“ Er begriff nicht recht, worauf meine Bemerkung abzielte.
So etwas wie Kälteempfinden besitzen Stockholmer nicht. Das hätte mir der Doktor mal erklären sollen. Dafür besitzt fast jeder Dritte ein Freizeitboot, mit dem er das ganze Jahr über von Ufer zu Ufer pendelt. Auf unserer Reise in die Ostsee, die mit einem zweifachen Tuten beginnt, begleiten uns dementsprechend viele Schnellboote, Surfer und Segler, sodass ich mir vorkomme wie auf einer Regatta.
Grell schimmert draußen das Wasser, in das die Schiffsschraube Schaum schlägt; es ist leicht schuppig an diesem Tag. Zwischen großen kleinen Inseln und winzig kleinen Inseln stechen ab und an maulwurfshügelartige Gebilde aus dem Wasser, die in den kommenden Jahren vermutlich im Klimawandel untergehen werden. Auf unbewohnten Felsen tragen Bäume ihr Restlaub zur Schau, auf den bewohnten dampfen Kamine. Neben Stegen ruhen die Ruderboote halb an Land und doch mehr im Wasser. Und über alledem kommen Lars und mir die Pufferwolken so nah, dass es leicht ist sich auszumalen, das Schiff schwimme nicht mehr, sondern gleite durch die blassblauen Lüfte.
Nach vier Stunden Fahrt legen wir in Sandhamn an. Die Insel selbst heißt eigentlich Sandön , also „Sandinsel“, und nicht „Sandhafen“, denn so nennen sich nur das Dorf undeben der Hafen, wo die Möwen kreischen und das Tau unseres Dampfers um einem Stahlzylinder gewickelt wird. Direkt am Ufer leuchtet vor einer Motorenwerkstatt ein geklautes t-bana -Schild. Die erste Attraktion. Obwohl nur etwa hundert Menschen durchgehend auf der Insel leben, werden im Sommer die vermieteten Zimmer knapp. Zu den Touristen an den Stränden Trovill oder Fläskberget gesellen sich dann
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