Ein Jahr in Stockholm
Rose durchs Deckenloch, die er irgendwo gepflückt hat.
„Auch das gehört zum allemansrätt . Und jetzt ta det lugnt! “ Er grinst und schüttelt noch einmal den Kopf.
Vielleicht könnte ich mich allmählich doch mit dem Gedanken anfreunden, in der S:t Paulsgatan einzuziehen.
november
Wie in einem Schwarz-Weiss-Stummfilm. Caro und ich blicken vom Balkon und ziehen in der Winterkulisse ein stilles Resümee. Den Himmel schraffieren Schlieren; bald wird es auf den Altschnee rieseln, der in kantigen Bergen an den Häusern lehnt. Auf den Autos finden sich wieder Extra-Scheinwerfer und auf meiner Fensterbank Salate und andere Eintagspflanzen. Das einzig Bunte in der Umgebung ist die Leuchtreklame des Kiosks, der bei meiner Ankunft in der Stadt noch eine verlassene Bretterbude war. Nun stehen die Schweden schon vor der Arbeit Schlange für einen libanesischen Imbiss. Sonst aber wirkt das Ende der Skeppargatan so trostlos wie zu Jahresbeginn. Und genauso fühle ich mich.
„Die Bäume sehen aus wie haushohe Lakritz-Lollis“, sagt Caro irgendwann.
Die kahlen Äste der Linden waren bis gestern unauffällige Striche in der Landschaft. Jetzt biegen sie sich unter dem Gewicht unzähliger Raben, die uns wie Hühner auf der Stange anglotzen. Ein apokalyptisches Bild. Aus tausend Kehlen kommt etwas, das klingt, als hätten sie allesamt etwas Sperriges verschluckt. Sind es Hilferufe? Oder Hasstiraden? Jedenfalls ist es kein Schrei nach Liebe. „Ich fühle mich eher wie bei Hitchcock und den Vögeln“, entgegne ich.
Es würde mich nicht wundern, wenn sie gleich über uns herfielen. Doch fürs Sterben haben wir heute wirklich keine Zeit. Es ist unser vorerst letzter gemeinsamer Stockholm-Tag, und der ist komplett durchgeplant. Um in Schwung zu kommen und die Stimmung zu heben, frühstücken wir im Iglo Ljuscafé , wo wir uns eine Stunde Licht dazukaufen.
An Hornstulls Strand auf Södermalm betreibt Martin, ein Bekannter von Lars, ein Lokal der besonderen Art. Sein Konzept funktioniert im Einklang mit der Natur: In diesen finalen Wochen des Jahres ist den Stockholmern sowieso nur eine sehr geringe Lichtdosis beschieden. Und in den theoretisch hellen Stunden verliert die Sonne seit Tagen ihren Kampf gegen die Wolkendecken. Kein Wunder, dass vier von fünf Schweden schwermütig und antriebslos sind. Uns geht es genauso. Aber Martin hat Gott sei Dank etwas dagegen. Wenn es auch kein richtiges Iglu ist, wie Caro am Eingang enttäuscht feststellt, so bleibt sein Café doch eine Tankstelle für gute Laune.
In einem fensterlosen Raum bestrahlen uns 3000-Lux-Tageslichtröhren. Dieses Breitspektrumlicht wird zusätzlich von den weißen Wänden, Sesseln, Tischen und den Arztkitteln reflektiert, die uns Martin überreicht. Nichts blendet, nichts flimmert, nichts wirft Schatten. Nur auf unseren Sichtfeldern beginnen dunkle Punkte in Schlangenlinien zu tanzen, während wir alkoholfreie Fruchtcocktails in intensiven Farben schlürfen. Immer wieder horchen wir tief in uns hinein, um eine eventuelle Wunderwirkung nicht zu verpassen – und tatsächlich: Nach wenigen Minuten lachen wir uns über die Eckpfeiler unserer zehn Monate am Mälaren schlapp.
Bestens gelaunt besuchen wir im Anschluss das Moderne Museum. Wir begutachten, wie Meret Oppenheim Schuhe zu festlichen Braten geschnürt und die Stöckel mit Krepppapierröschen drapiert hat, und drehen danach eine Runde auf Skeppsholmen. Caro macht Fotos von mir und den dicken Nana-Frauen von Niki de Saint Phalle. Auf der Fähre von der Miniinsel Kastellholmen nach Djurgården knipse ich sie mit den Kränen von Beckholmen. Die sind zu braun gefleckten Giraffen umgestaltet, die auf diesem Industrieplatz ihre Köpfe unermüdlich in die Baumwipfel neigen. Seine Kunst versteckt Stockholm eben nicht nur in den Museen.Nach einem Stadtbummel gehören wir dann vollends dem Café String und seinen Himbeer-, Blaubeer-, Apfel-Zimt-Pajs. Caro kauft sich zur Erinnerung die karierte Thermoskanne, die sie dem Mann am Nebentisch abschwatzt, der daraus anfangs noch seinen Milchkaffee trinkt.
„Ich werde das Kosmopolitische vermissen“, meint sie, als sie in die Runde blickt, in der sich grob geschätzt sechs verschiedene Nationen in ihren Sprachen unterhalten. „Und die Schären und das Angebot an tollen Läden und einfach alle Verlockungen einer internationalen Metropole. Das hat Malmö nicht. Stockholm ist groß, aber immer gemütlich. Und grün. Wo gibt’s das schon, dass eine Stadt nicht nur von
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