Ein Jahr in Stockholm
auch, dass die allgegenwärtige personnummer , die jedem Schweden mit der Geburt vom skatteverket , dem schwedischen Finanzamt, zugeteilt wird, darüber entscheiden darf, wie ich meine Freizeit verbringe. Was eigentlich eine Erleichterung für die Bürokratie sein soll, macht es Ausländern oft ziemlich schwer.
Caro und ich waren es gewohnt, alles mit einer international gültigen Kreditkarte zu zahlen, sogar den Automatenkaffee für wenige Kronen im Schnellzug. Bis zu dem Tag, als wir ins Kino wollten, war das kein Problem. Alle in der Schlange vor uns zahlten so. Die Misere bei uns allerdings war, dass auf dem zur Kreditkarte vorzuzeigenden Ausweis keine Personennummer eingeprägt war. „Isch abe gar keine Nummer“, scherzte Caro in Anlehnung an Herrn Angelo aus einer ziemlich alten Kaffeewerbung.
Woher auch? Wir hätten erst ein Jahr im Land lebenmüssen, damit uns eine lebenslang gültige Nummer zugeteilt worden wäre, womit wir ein schwedisches Bankkonto hätten eröffnen und eine neue Kreditkarte hätten beantragen können. Hätte, wäre, wenn. Wir wollten doch bloß ins Kino!
Die Dame an der Kasse aber hatte kein Verständnis für unsere Lage. Denn auch in unseren deutschen Führerscheinen fand sie seltsamerweise keine Personennummer. Kein schwedisches Bankkonto? Wir existierten folglich gar nicht, fasste sie zusammen. Aber da sie kein Unmensch sei, würde sie es akzeptieren, wenn wir bar zahlten. Leider fanden wir wegen der gewohnten Zahlungsweise nicht einmal fünf Euro in unseren Taschen. An diesem Abend sahen wir zu Hause fern.
Tags darauf meldete sich der nächste seltsame Zeitgenosse. Er bot mir an, innerhalb von zwei Stunden einen neuen Parkettboden in der Wohnung zu verlegen. So weit, so gut. Nur – woher hatte der Gute meine Handynummer? „Na, über hitta.se “, erklärte er nach einer kurzen Pause. Meine misstrauische Nachfrage verwirrte ihn.
Als Caro abends von der Arbeit kam, konnte ich ihr die Geburts- und Namenstage all unserer Bekannten aufzählen, dazu diverse Telefonnummern, Adressen, Beruf, wie das Haus aussieht, in dem sie gemeldet sind, und in welchem Haus sie ihren Sommerurlaub verbringen. Ich erfuhr, wie viel die Manager von Tetrapak und Elektrolux verdienen und dass mein Sprachlehrer Sverker mit einer selbstständigen Friseurin namens Isabelle zusammenlebt, die mit ihren Zwillingen aus erster Ehe in die schmucke villa am Stadtrand gekommen ist, in der sie nun allesamt im November Geburtstag feiern können. Mit wenigen legalen Klicks im Internet ist hier ein halbes Leben ausspioniert.
Ähnlich gut überwacht wie am Karlaplan entsteige ich schließlich am Mariatorget dem Untergrund. Im Freien empfangen mich neue Kameras, weshalb ich mir ein bisschenprominent vorkomme, als ich Lars entgegengehe. „Warum läufst du denn so komisch?“, fragt der und begräbt all meine prinzessinnenhaften Gefühle. „Frag mich lieber, mit welchem Frauenschwarm ich heute Morgen den Tag begonnen habe. Aber frag nicht, wie …“
Natürlich will Lars alles genau wissen. Er wundert sich, bewundert Caro und mich aber auch ein wenig für unseren Mut und die Dreistigkeit, die einem korrekten, schlangestehenden Schweden fremd ist und ihn um einige wichtige Erlebnisse im Leben bringen dürfte.
Im Gespräch achte ich nicht darauf, wohin wir gehen, bis mich Lars in der Wollmar Yxkullsgatan an der Hand nimmt, mit mir über die Torkel Knutssonsgatan rennt und mich am Eck in einen unscheinbaren Hauseingang zieht. „Ich hab ’ne Wohnung gekauft“, sprudelt es aus ihm heraus, obwohl ich CPs Kleidung noch nicht vollständig beschrieben hatte und gerade abgelenkt war, weil mir die Straßennamen so abgedreht vorkamen. „Du hast was? Wo sind wir eigentlich?“
Wir stehen im Herzen des tollen-teuren linken Flügels von Södermalm, Lars’ und meiner Lieblingsinsel in der Stadt, wenige hundert Meter vom Tantolundenpark entfernt. Die vergangenen zwei Wochen hatte Lars bei uns in der WG gewohnt. Dass ihn die Enge und das Chaos zu einer derartigen Kurzschlussreaktion treiben würden, hätte ich allerdings nicht gedacht. Selbst für ein Zwergenkabuff in dieser Gegend müsste er sich bis über beide Ohren verschulden.
„Sieh’s dir doch erst mal an“, entgegnet Lars meinem schockierten Blick und zieht mich in einen Aufzug: „Die Wohnung ist wirklich hübsch und hat Stil und die perfekten Maße.“
Für hübsch und Stil und perfekte Maße stürzt man sich doch nicht in den finanziellen Ruin.
Für hübsch und
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