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Ein Jahr in Stockholm

Titel: Ein Jahr in Stockholm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Beer
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Stil und perfekte Maße legt man sich morgens kurz vor halb sieben ins Gebüsch.
    Ohne Frage ist die Wohnung ein Traum, ein Altbau mit Stuck-Resten. Die drei bodenlangen Fenster von Küche, Wohn- und Arbeitszimmer, die zur Straße hin liegen, werden von französischen Balkonen eingefasst und spenden all das Licht, das den Stockholmern je nach Jahreszeit zugedacht ist; dazwischen: ein offener Kamin. Die kleine Dachterrasse schräg über dem Schlafzimmer lässt auf Bänke, Schaukeln und Kirschbäume im Innenhof blicken. Als Krönung des Optimums lautet die Adresse glücklicherweise noch S:t Paulsgatan. Deshalb kann Lars meine gezügelte Freude auch überhaupt nicht begreifen.
    „Freu dich“, fordert er, „und zieh ein, wenn du möchtest.“ „Nein, nein, nein. Sag mal, wo ist denn das gute alte Ta-detlugnt geblieben?“ Solche endgültigen Entscheidungen schärfen meinen Fluchtinstinkt. „Das ist doch ta det lugnt!“ Lars grinst, setzt Wasser für die fika -Pause auf und öffnet die Brötchentüte: „Also mach dich locker. Was seid ihr Deutschen bloß so verkrampft?“
    Es ist der Vierte des Monats, Kanelbullens Dag , offizieller Tag der Zimtkringel, und ich finde, da streitet man nicht. Ich versuche also zunächst zu ergründen, was in einem schwedischen Hirn vor sich geht.
    Schweden stehen gerne Schlage – warum soll das also nicht für den Wohnungsmarkt gelten? Wer hierzulande eine Unterkunft sucht, braucht Glück und einen langen Atem. Der an sozialen Idealen ausgerichtete Mietmarkt macht es vor allem Einwanderern wie mir schwer, in absehbarer Zeit eine Bleibe zu finden. Mieten darf wieder nur der, der eine Personennummer hat. Elin hatte mir einmal erklärt, dass die meisten Wohnhäuser in Schweden kommunalen Wohnungsverwaltungen oder Immobilienfirmen gehören, die offizielle Wartelisten führen. In Ballungszentren wie Stockholm oder Göteborg muss man sich mindestens drei Jahre gedulden, bis man einziehen kann. Für eine Wohnung auf Södermalmhätte Lars gut zehn Jahre warten dürfen, um sie zu mieten – in meinem Stadtteil Östermalm sogar bis zu 22 Jahre.
    Wer einen solchen Erstmietvertrag direkt vom Eigentümer ergattert hat, gibt ihn so bald nicht wieder her. Einen Sechser im Lotto wirft man ja auch nicht eben auf den Müll. Der Bewohner ist so gut wie unkündbar und zahlt wegen der staatlichen Mietpreisbindung meist eine lächerlich geringe Miete – im Zentrum fast genauso wie im Umland, da Wohnen in Schweden keine Ware sein soll. Allerdings kann der Mieter die Wohnung untervermieten und dann allein über den Preis bestimmen, weshalb der Handel mit Secondhand-Verträgen floriert.
    Kaufen geht schneller. Lars war auf zwei Besichtigungsterminen, bei denen ein Makler je eine um die achtzig Interessenten große Herde durch die Wohnung getrieben hat. Für seine jetzige tvåa , eine Zweiraumwohnung, hatte er sich per SMS an einem Bietverfahren beteiligt – und sie nach einem nervenaufreibenden Kampf tatsächlich ersteigert. Das war vor zwei Tagen. Gestern hatte er den Vertrag unterschrieben. Nun hat er das bostadsrätt , das Recht, in der Wohnung zu leben. Er muss nur noch der Eigentümergemeinschaft des Hauses beitreten und eine monatliche Gebühr an sie bezahlen, die ungefähr der staatlich vorgeschriebenen Miete entspricht – selbst wenn er die Wohnung untervermietet. Und da Lars vermutlich keine 122 Jahre alt werden wird, muss er wie die meisten Stockholmer ein bisschen Kreditschuld mit ins Grab nehmen. Was für ein Chaos!
    So aber erklärt sich die oft verrückte Reihenfolge, in der Schweden Dinge im Leben tun. Grundsätzlich wird hier nicht tausendfach hinterfragt, emotional erwogen und finanziell durchkalkuliert wie in Deutschland; es lebt sich etwas leichter. Junge Paare kaufen Wohnungen, weil sie irgendwo leben müssen, ziehen holterdiepolter zusammen, aus särbo (Paaren, die in getrennten Wohnungen leben und inDeutschland keine Bezeichnung verdient haben) werden sambo (Leute mit gleicher Adresse, die sich der „wilden Ehe“ verantworten müssen). Solche sambo vermehren sich schnell, weil meist beide früh berufstätig sind und bleiben können. Arbeitslose gibt es kaum. Alles klappt, das Leben läuft. Man verlobt sich oft, heiratet selten.
    Erstaunlich viele Paare mit Kindern oder ohne trennen sich bald wieder. Scheidungen, Trennungen insgesamt, sind üblich und weniger verpönt als anderswo in Europa, was mir Björn von ABBA vor einigen Tagen in einem Fernsehinterview bestätigte. Das,

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