Ein Jahr ohne Juli (German Edition)
und schließt behutsam die Tür hinter sich. »Vorsicht mit dem Auto, Mädels«, sagt er und schiebt uns ein wenig von seinem ganzen Stolz fort. Er schüttelt Dad die Hand und nickt zu uns herüber. »Man sollte nicht meinen, dass sich die beiden erst gestern gesehen haben, was?«, sagt er lächelnd.
»Gestern?« , sagt Dad mit gespieltem Entsetzen. »Aber das ist doch schon einen ganzen Tag her. So gut wie ein Leben lang!«
»Ha, ha, sehr witzig«, gibt Juli zurück. »Nur damit Sie Bescheid wissen, Jenny und ich haben uns seit gestern eine Million Sachen zu erzählen. Stimmt’s nicht, Jenny?«
Ich kichere und grinse Juli zu. » Mindestens eine Million«, sage ich. »Vielleicht sogar anderthalb Millionen.«
»Schon gut, aber die müssen leider warten, ich brauche nämlich Hilfe hierbei«, sagt Mr Leonard und beginnt, das Gepäck aus dem Auto zu laden.
Ich starre die Edelmarkenkoffer und -taschen neben dem Porsche an.
»Wie um Himmels willen habt ihr das alles reingekriegt?«, frage ich.
Juli strahlt mich an. »Das ist die Tardis – hast du das nicht gewusst?« Sie grinst vor spitzbübischem Vergnügen. Dann dreht sie sich im Kreis, wedelt mit den Armen und macht unheimliche Zeitmaschinen-Geräusche. Ach so, sie meint die Raum-Zeitmaschine aus Dr. Who! Ich erinnere mich: Sie sah von außen wie eine Art Telefonzelle aus – war aber, wenn man reinging, riesengroß.
Mikey blickt zum ersten Mal auf. »Die Tardis?«, fragt er. »Wo?«
Mrs Leonard streichelt ihm über die Wange. »Deine Schwester macht nur Witze, Liebling«, sagt sie. »Das ist natürlich nicht die Tardis. Es ist ein Porsche. Oder man kann es auch die Midlife-Krise eines nicht mehr ganz jungen Mannes nennen.«
Mikey zieht die Nase kraus und sieht seine Mutter an. »Was ist das?«, fragt er. Juli lächelt ihren kleinen Bruder liebevoll an. »Nur so langweiliges Erwachsenenzeug, da müssen wir uns nicht drum kümmern, Kleiner«, sagt sie und zerzaust ihm die Haare.
Mikey weicht ihr unwillig aus und widmet sich wieder seinem Spiel.
»Kleine Brüder«, sagt Juli mit theatralischem Seufzen. »Sind sie nicht zum Anbeißen?«
Sie sagt das zwar im Scherz, aber sie meint es wirklich, das weiß ich. Wie kein anderer weckt Mikey in Juli Liebe und Beschützerinstinkte. Wahrscheinlich ist er für sie das, was Craig für mich ist. Wir lieben diese kleinen Nervmonster unsäglich – aber wir würden es im Leben nicht zugeben!
Mikey ist acht. Zwei Jahre älter als Craig, deshalb sind sie nicht direkt Kumpel oder so, aber wenn wir hier sind, hängen sie schon mal zusammen rum. Dann kommt sich Craig ganz groß vor. Obwohl zusammen rumhängen eher ein bisschen übertrieben ist. Meistens spielt Mikey mit seinem neuesten Computerspiel, und Craig darf danebensitzen und zugucken. Aber sie haben beide Spaß dabei.
»Also gut, dann komm«, sagt Dad und greift nach meiner Hand. »Überlassen wir die Leonards mal ihrem Kram. Ich bin sicher, die anderthalb Millionen Sachen haben Zeit bis nachher.« Er hebt die Hand zu einem Abschiedsgruß: »Bis später beim Willkommensempfang!«
Beim Willkommensempfang informieren uns die Leute vom Riverside Village, was in der Woche so alles los ist. Es gibt ein kleines Kino im Empfangsgebäude, in dem jeden Abend ein anderer Film gezeigt wird, und auch tagsüber wird eine ganze Menge angeboten, Ausflüge und so weiter. Von Vogelbeobachtungstouren bis hin zu Heißluftballonflügen.
»Auf jeden Fall!«, sagen Julis Eltern gleichzeitig.
Juli geht in Habachtstellung und salutiert. »Aye, aye, Käpt’n, bis nachher«, ruft sie und wirft mir eine Kusshand zu. Dann läuft sie los und hilft ihren Eltern mit dem Gepäck.
Ich zerbreche mir schon den Kopf, zu welchen verrückten Veranstaltungen mich Juli in diesem Jahr beim Willkommensempfang überreden will. Jedes Mal sucht sie Ausflüge aus, die echt abgefahren sind, und meistens gehe ich auch mit. Ich kann mir nicht vorstellen, Juli etwas abzuschlagen. Ich glaube, das hat was mit dem Leuchten in ihren Augen zu tun, mit ihrem strahlenden Lächeln. Wenn sie etwas vorschlägt, weiß man immer, dass es wahrscheinlich ziemlich verrückt ist, aber trotzdem hundert Prozent besser als alles andere – solange man es mit ihr gemeinsam macht. Mit ihr wäre es sogar aufregend, eine Mauer zu bauen! Fragt mich nicht, warum; sie kriegt das einfach hin.
Wenn Juli nicht dabei wäre, würde ich die ganzen Abenteuerausflüge links liegen lassen. Ich gehe lieber mit Mum ins Museum. Ich weiß,
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