Ein Jahr ohne Juli (German Edition)
so mit ihm weiter, dann tue ich so, als müsste ich mir die Nase kratzen, damit ich ihn loslassen kann.
Wir schlendern am zweiten Trakt der Ferienwohnanlage vorbei. Zusammen mit unserem bilden die beiden Gebäude den modernen Teil von Riverside Village. Sie sind erst vor ungefähr zehn Jahren errichtet worden. Die anderen beiden Gebäude stehen schon fast hundert Jahre. Eines davon, das mit der Empfangshalle, liegt vor uns. Es ist ein lang gestrecktes und üppig mit Efeu überwuchertes Landhaus mit einem Reetdach. Das Gebäude, in dem Juli wohnt, liegt dem Empfangsgebäude fast genau gegenüber. Es ist das herrschaftlichste der ganzen Anlage. Julis Eltern haben eine der eleganten Wohnungen im ersten Stock. Diese Wohnungen sind zu der Zeit modernisiert worden, als man unseren Trakt gebaut hat. Sie haben alle große Zimmer, breite Terrassen oder Balkone und in allen Bädern Whirlpools!
Gerade befinden wir uns zwischen den beiden Gebäuden, als mich das Aufheulen einer Autohupe fast umhaut. Ich fahre herum und sehe, wie ein roter Porsche heranrast.
»Juli!« Sie biegen auf den Parkplatz, und ich renne los.
Juli winkt wie verrückt von dem winzigen Rücksitz, auf dem sie und ihr kleiner Bruder Mikey sitzen, die Knie praktisch bis zu den Ohren hochgezogen, neben ihnen noch Koffer und Taschen, die den Blick aus den Fenstern versperren.
Julis Vater ist Künstler, und ihre Mutter leitet die Galerie, die seine Werke verkauft. Er hat sich das Auto selbst geschenkt, als sie eines seiner Bilder zu einem Wahnsinnspreis verkauft haben. Er wollte uns nicht sagen, wie viel er dafür bekommen hat, aber Mrs Leonard hat gesagt, sie hätten sich dafür auch eine neue Kücheneinrichtung kaufen können. Und als er dann das nächste Bild verkauft hat, hat er ihr tatsächlich eine neue Küche geschenkt!
Julis Eltern sind total super. Bei ihnen zu Hause geht es total verrückt zu. Immer ist viel Besuch da, und ständig geben sie Dinnerpartys, und es gibt wilde Diskussionen, bei denen alle gleichzeitig reden, und Juli und Mikey kriegen nie gesagt, dass es Zeit fürs Bett ist, und Juli darf Sachen machen wie Brot backen oder die Wände mit Wandbildern bemalen. Einmal haben wir ihrem Vater sogar geholfen, für eine Party Cocktails zu mixen. Das war vielleicht cool! Leuchtend rote und grüne Drinks – und wir durften mit Tabletts herumgehen und sie anbieten, in Gläsern, die am Rand in rosa Zucker getaucht waren.
Bei den Leonards riecht es immer nach Räucherstäbchen, die sie von einer ihrer exotischen Ferienreisen mitgebracht haben. Es fühlt sich immer nach Ferien an, wenn ich bei ihnen bin. Bei uns verändert sich nie etwas und es ist nie unordentlich. Obwohl, das gefällt mir eigentlich auch. Da weiß man wenigstens, woran man ist.
Ich glaube, Julis Eltern mögen es, wenn zumindest eine Woche im Jahr ein bisschen geordnet abläuft. Ansonsten kann ich mir nicht vorstellen, warum sie nach Riverside Village kommen – außer natürlich, um uns zu treffen! Wobei mir das auch irgendwie komisch vorkommt! Manchmal frage ich mich, warum Juli mich zur besten Freundin haben will. Ich bin nicht halb so interessant wie sie. Immer, wenn ich ihr das sage, lacht sie nur und sagt, ich soll nicht so doof sein, wir würden bis zum Lebensende beste Freundinnen bleiben. Und auch wenn ich immer noch nicht verstehe, warum gerade ich, weiß ich, dass es stimmt. Sie würde mich nie anlügen.
Mrs Leonard schält sich aus dem Auto und lächelt mir zu. »Hallo, Jenny-Schätzchen«, sagt sie. »Wie geht’s deiner Mutter?« Sie kommt auf mich zu und küsst mich auf beide Wangen.
»Gut«, sage ich und werde rot bei der exotischen Begrüßung. »Mum ist mit Craig im Apartment.«
»Hat zur Abwechslung mal die Füße hochgelegt«, fügt Dad hinzu.
Julis Mutter und meine Mutter sind auch beste Freundinnen. Sie haben sich praktisch zur gleichen Zeit kennengelernt wie wir. Während Juli und ich uns in der ersten Klasse gegenseitig mit Farbe beschmierten und zusammen unsere Nasen in Bücher steckten, haben unsere Mütter auf dem Schulhof Rezepte getauscht und über die Lehrer getratscht. Dad und Mr Leonard sind auch Freunde geworden.
Juli und Mikey purzeln aus dem Auto. Mikey sieht nicht mal von dem Computerspiel auf, mit dem er praktisch zusammengewachsen ist. Juli rennt schnurstracks mit fliegenden roten Haaren um das Auto herum auf mich zu.
»Jenny!«, quietscht sie, und wir umarmen uns und hüpfen aufgeregt auf und ab.
Mr Leonard steigt aus dem Auto
Weitere Kostenlose Bücher