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Ein kalter Strom

Ein kalter Strom

Titel: Ein kalter Strom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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komplette Anweisungen bekommen, in welche Rolle Sie schlüpfen sollen. An dem angegebenen Tag sollen Sie an einen bestimmten Ort gehen und Ihr Bestes tun, um die in Ihren Anweisungen gesetzten Ziele zu erreichen. Von dem Moment an, in dem Sie Ihre Wohnung verlassen, müssen Sie diese andere Person sein, bis einer von uns Ihnen sagt, dass das Rollenspiel zu Ende ist. Ist das klar?«
    »Werde ich mit anderen Menschen zu tun haben oder nur mit Kollegen?«, fragte Carol.
    Auf Morgans gerötetem Gesicht erschien ein Lächeln. »Tut mir Leid, mehr können wir Ihnen jetzt nicht sagen. Morgen früh bekommen Sie die Anweisung. Und ab sofort haben Sie frei. Wir haben das mit Ihren Vorgesetzten abgeklärt. Sie werden Zeit brauchen, um sich kundig zu machen und sich auf Ihre Rolle vorzubereiten. Noch Fragen?«
    Carol sah ihn fest mit dem kühlen Blick ihrer grauen Augen an, der bei Vernehmungen oft so gut wirkte. »Bekomme ich den Job?«
    Morgan lächelte. »Sie haben
einen
Job, DCI Jordan. Es mag nicht die Stelle sein, die Sie erwartet hatten, aber ich glaube, es ist richtig, zu sagen, dass Sie nicht mehr viel länger bei der Met sein werden.«
     
    Als Carol zu ihrer Wohnung im Barbican zurückfuhr, war sie sich kaum des Verkehrs bewusst, der um sie herum floss. Obwohl sie sich oft sagte, dass ihr in ihrem Beruf immer das Unerwartete bevorstehen könne, hatte der Verlauf dieses Nachmittags sie völlig überrumpelt. Erstens war aus heiterem Himmel Paul Bishop erschienen. Dann hatte das Vorstellungsgespräch eine absonderliche Wendung genommen.
    Irgendwo in der Nähe der Überführung am Westway mischte sich langsam Ärger in Carols Verwirrung. Etwas stimmte hier nicht. Die Stelle einer Verbindungsbeauftragten für Europol hatte nichts mit konkreten Einsätzen zu tun. Es ging dort um Analysen, nicht um praktische Arbeit. Sie würde Schreibtischarbeit machen, reisen und Erkenntnisse aus vielen verschiedenen Quellen in der ganzen Europäischen Union durchgehen und sortieren. Organisierte Kriminalität, Drogen, Menschenschmuggel – auf solche Dinge würde sie sich konzentrieren. Ein Europol Liaison Officer, ein ELO , war jemand mit dem Computerwissen und dem ermittlerischen Grips, um Zusammenhänge aufspüren, Verwirrendes und Nebensächliches herausfiltern und so eine möglichst klare Darstellung der kriminellen Aktivitäten geben zu können, die sich auf Großbritannien auswirken könnten. Ein ELO würde höchstens dann in die Nähe der Praxis kommen, wenn es um Kontakte mit Polizeibeamten aus anderen Ländern ging, um sich zu vergewissern, dass die Informationen, die bei ihm ankamen, ebenso genau wie umfassend waren.
    Warum also sollte sie jetzt etwas tun, was sie noch nie zuvor getan hatte? Sie mussten doch aus ihrer Akte ersehen haben, dass sie noch nie als Agentin gearbeitet hatte, nicht einmal in ihrer frühen Zeit bei der Kripo. Es gab nichts in ihrer Vergangenheit, das annehmen ließ, sie eigne sich, in die Rolle eines anderen Menschen zu schlüpfen.
    Im stockenden Verkehr auf der Marylebone Road wurde ihr klar, was ihr am meisten Kopfzerbrechen bereitete. Sie wusste nicht, ob sie es konnte. Und wenn es etwas gab, was Carol noch mehr hasste, als den Durchblick nicht zu haben, dann war es der Gedanke daran, zu scheitern.
    Wenn sie diese Herausforderung bestehen wollte, würde sie sich wirklich kundig machen müssen, und zwar schnell.
     
    Frances schnitt Gemüse, als Tony hereinkam, und die Stimmen von Radio Four bildeten einen strengen Kontrast zu dem Geräusch des Messers auf dem hölzernen Schneidebrett. Er blieb einen Moment auf der Schwelle stehen, um die so normale, behagliche, aber in seinem Leben relativ fremde Szene einer Frau, die in seiner Küche das Abendessen zubereitete, dankbar zu betrachten: Frances Mackay, 37, eine Französisch- und Spanischlehrerin an der Highschool in St. Andrews, mit dem blauschwarzen Haar, den saphirblauen Augen und der hellen Haut, die für die Hebriden typisch sind, mit der sportlichen Figur einer Golfspielerin und dem scharfen, verschlagenen Humor einer Zynikerin. Sie hatten sich im Bridge-Club kennen gelernt. Tony hatte seit den Anfängen seines Studiums nicht mehr gespielt, aber es war etwas, was er wieder aufnehmen konnte, ein Teil seiner Vergangenheit, der es ihm erlauben würde, ein weiteres Mauerstück in die Fassade einzupassen, die er ständig aufrechterhielt. Insgeheim betrachtete er sie als Hilfsmittel, um sich als Normalmensch darzustellen.
    Ihr früherer Bridgepartner

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