Ein kalter Strom
der Täter ihn für tot hielt.
Johann Weiss (46), ein Architekt, wurde von seinem Angreifer bewusstlos geschlagen, als er Margarethe Schillings (43) Haus betrat. Nachdem er das Bewusstsein wiedererlangt und die Leiche seiner ermordeten Lebensgefährtin entdeckt hatte, rief er die Polizei.
Dr. Schilling war Dozentin für experimentelle Psychologie an der Universität Bremen und Mutter eines acht Jahre alten Sohnes aus einer früheren Ehe. Der Junge lebt mit seinem Vater in der Nähe von Worpswede.
Die Polizei hat keine Einzelheiten zu dem Verbrechen freigegeben, aber aus gut unterrichteter Quelle verlautet, dass Dr. Schilling festgebunden und entkleidet war. Ihre Leiche war wie bei einem Ritualmord verstümmelt worden.
Ein Sprecher der Polizei sagte: »Die Untersuchung zu Dr. Schillings Tod wird fortgesetzt. Wir stellen Ermittlungen in verschiedene Richtungen an. Es handelt sich um einen besonders brutalen und kaltblütigen Täter, und wir sind fest entschlossen, Dr. Schillings Mörder dingfest zu machen. Wir bitten etwaige Zeugen, die gestern Abend in der Nachbarschaft von Dr. Schillings Haus Personen gesehen haben, sich sofort bei der Polizei zu melden. Wir suchen vor allem den Fahrer eines dunklen Golf, mit dem wir sprechen möchten.«
Petra starrte entsetzt und erregt auf den Bildschirm. Es sah so aus, als hätte der Mörder wieder zugeschlagen, und dazu noch auf deutschem Boden. Und vielleicht gab es diesmal sogar eine Spur, die sie verfolgen konnte.
Carol folgte Larry Gandle, dem britischen Verbindungsmann bei Europol, der sie vom Flughafen abgeholt hatte, durch die Korridore des Hauptquartiers von Europol am Raamweg. Mit seinem eleganten Anzug und dem kurzen, schütteren Haar glich er eher einem höheren Bankangestellten als einem Polizeibeamten. Aber an etwas Undefinierbarem war er, abgesehen von seinem Black-Country-Akzent, sofort als Engländer zu erkennen.
Er führte sie zu einem kleinen Besprechungszimmer im dritten Stock des Hauptgebäudes. Das einzige Fenster ging auf einen zentralen Hof hinaus, so dass man von draußen nicht gesehen werden konnte. Als Carol an der einen Ecke des langen, hellen Holztisches Platz nahm, ging die Tür auf, und eine große, langgliedrige dunkelhaarige Frau kam herein. Sie hatte den lockeren Gang einer Sportlerin, die sich in ihrem Körper wohlfühlte. In Jeans, einem dunkelgrauen Pullover und einer zerknitterten Lederjacke wirkte sie lässig, hatte einen schwarzen Rucksack über die Schulter geworfen, der für das Berliner Filmfestival warb, und glich eher einer Fernsehproduzentin als einer Polizistin. Ihr Haar war kurz geschnitten und zu einem modischen Struwwelkopf gestylt. Sie hatte ein dreieckiges Gesicht mit breiter Stirn, das unter dem dünnlippigen Mund in einem spitzen Kinn zulief. Sie sah deprimierend ernst aus, aber als sie lächelnd grüßte, ließen die Fältchen um ihre blauen Augen Kompromisse ahnen, die ihr ernsthafter Gesichtsausdruck nicht vermuten ließ. »Hi«, sagte sie. »Ich bin Petra Becker.« Sie kam direkt auf Carol zu und beachtete Gandle nicht. »Sie müssen Carol Jordan sein.« Sie sprach Englisch mit einem schwachen amerikanischen Akzent, der ihren deutschen überlagerte.
Petra hielt Carol, die aufstand und sie begrüßte, die Hand hin. »Ich freue mich, Sie kennen zu lernen. Larry Gandle, einer der britischen Verbindungsleute bei Europol.«
Petra nickte bestätigend und zog einen Stuhl direkt neben Carol heraus, so dass sie im rechten Winkel zueinander saßen. Gandle war damit gleich aus ihrer Gemeinschaft ausgeschlossen, obwohl er es nicht merkte. Er saß Carol, durch die breite Tischplatte von ihr getrennt, gegenüber.
»Nett, Sie kennen zu lernen, Petra«, sagte Gandle herablassend. »Ich bin nur hier, um Ihnen bei dem Treffen hilfreich zur Seite zu stehen und um Fragen zu beantworten, für die wir vielleicht zuständig sind. Aber in der Hauptsache ist dies ein gemeinsames Unternehmen von Briten und Deutschen, und es ist Ihre Sache, zusammen die Dinge so anzupacken, wie Sie sie am besten bewältigen können.«
»Danke, Larry«, sagte Carol, überging ihn damit zwar nicht direkt, konzentrierte sich aber jetzt offensichtlich nur auf Petra, die Frau, die für sie die Verbindung zu ihrem wirklichen Leben darstellen würde und ihr die Rückkehr aus der kalten Ungewissheit des Agentendaseins ermöglichen konnte. Petra würde dabei ihre erste Verteidigungsstellung, aber paradoxerweise auch die Person sein, die sie in die größte
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