Ein kalter Tag im Paradies – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Alex-McKnight-Serie (German Edition)
Haus verlassen. An der Küchentheke lehnte ein Besen neben einem Haufen Glasscherben.
»Mrs. Fulton ist in ihrem Schlafzimmer«, antwortete der Polizist. »Die ältere, meine ich. Die jüngere ist draußen.«
»Draußen?« fragte Uttley ungläubig. »Was sagen Sie da?«
»Hm …« Der Polizist sah seinen Partner an. »Ich fürchte, die beiden Mrs. Fultons hatten eine kleine Auseinandersetzung, als sie … wissen Sie, als sie das mit Mr. Fulton erfuhren.«
»Wohin ist sie gegangen?« fragte Uttley. »Sie haben sie so einfach rausspazieren lassen?« Er blickte aus dem großen Panoramafenster, das auf den See ging. Der Regen schlug gegen die Scheibe, als wolle er uns attackieren.
»Sie war überhaupt nicht in der Stimmung, uns zuzuhören«, erklärte der Beamte. »Wir konnten einfach nichts machen. Und wie wäre Ihr Name?« Er bediente sich jetzt des typischen Polizistentonfalls, während er seinen Gürtel hochzog. Das war genau das, was uns jetzt noch fehlte.
»Das ist Lane Uttley«, sagte ich. »Er ist der Anwalt der Familie. Er ist derjenige, der euch die Abzeichen abnimmt, wenn ihr euch nicht auf der Stelle rausschert und nach Mrs. Fulton sucht.«
»Mir gefällt Ihr Ton überhaupt nicht, Mr. McKnight.«
»Mein Stiefel in Ihrem Arsch wird Ihnen auch nicht gefallen«, sagte ich. »Die Frau hat gerade erfahren, daß ihr Mann tot ist, und Sie lassen sie raus in den Eisregen laufen. Hatte sie wenigstens einen Mantel an?«
Der Polizist sah mich nur an.
»Wenn Sie nicht sofort draußen sind und sie auf der Stelle finden«, fügte ich hinzu, »schwöre ich bei Gott, daß ich Sie so verprügele, daß Sie sich selbst nicht wiedererkennen.«
»Alex, lassen Sie es gut sein.« Uttley trat zwischen uns.
»Der Chief ist auf dem Weg nach hier«, sagte der Beamte. »Machen Sie das mit ihm aus.«
»Wir sollten uns um Edwins Mutter kümmern«, sagte Uttley. Er führte mich aus der Küche. Hinter uns schloß sich die Tür, als die Polizisten nach draußen gingen.
Wir gingen durchs Haus zum Gästeflügel und standen dann vor ihrer Tür. Wir konnten die schwachen Laute ihres Schluchzens hören. Uttley berührte die Tür. »Mrs. Fulton? Hier sind Lane und Alex.«
Lange herrschte Schweigen. Dann öffnete sich die Tür. Mrs. Fulton sah zehn Jahre älter aus. »Was wollen Sie?« sagte sie. Ihre Stimme klang rauh.
»Mrs. Fulton«, sagte Uttley. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es tut mir so leid.«
Sie sah mich an. »Was ist mit Ihnen? Wollen Sie auch sagen, daß es Ihnen leid tut?«
»Mrs. Fulton …« sagte ich.
Ihre flache Hand traf mein Gesicht. Ich versuchte nicht einmal, sie zu hindern. »Sie sollten ihn schützen. Das war Ihre Verantwortung.«
Ich sagte nichts.
»Ich hasse Sie«, sagte sie, und ihre Stimme überschlug sich. »Ich hasse dieses Haus. Ich habe dieses Haus immer gehaßt. Es ist kalt und dunkel und voll hinterwäldlerischem Kram und Indianerzeug … o Gott, Edwin. Bitte. Das kann doch nicht wahr sein.«
Uttley legte den Arm um sie. Ich ließ die beiden im Flur allein.
Im Fenster sah ich, daß die wütenden Tropfen des Regens zu dünnen Schnüren geworden waren. Aber der Wind heulte noch immer und peitschte die Wogen des Sees zu Kämmen. Ich konnte sehen, wie sich die Wellen an der Felsküste unter dem Haus brachen. An einem solchen Tag war es kein See mehr. Es war ein Meer, ein Meer, das Schiffe vernichtet und Menschen in den Tod zieht. Und jetzt war auch Edwin draußen, irgendwo auf dem Grund von all dem vielen Wasser. Der Staat würde unterhalb des Bootes den See mit Schleppnetzen absuchen lassen, aber ich wußte, daß das sinnlos war. Diese Wellen würden seine Leiche in das tiefste, kälteste Herz des Lake Superior spülen, nach unten, wo die Mannschaft der Edmund Fitzgerald lag. Alle neunundzwanzig würden ihn in ihrer Mitte willkommen heißen.
Rose hatte das getan. Rose tötete Edwin und warf dann seine Leiche in den See. Das Wasser war gestern abend ruhig genug gewesen, bevor der Sturm losschlug. Er hatte ihn ein, zwei Kilometer hinausbringen können, wenn er zu rudern verstand. Er hatte Edwins Leiche über den Bootsrand gehoben und dann zugesehen, wie sie gesunken war. Dann war er zum Ufer zurückgerudert. Es mußte dunkel gewesen sein. Vielleicht hatte schon der Regen eingesetzt. Vielleicht wurde das Wasser schon kabbelig. Vielleicht war es ein hartes Stück Arbeit gewesen, den ganzen Weg zum Ufer zurückzurudern.
Aber er war zurückgekommen. Das wußte
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