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Ein Kerl macht noch keinen Sommer

Ein Kerl macht noch keinen Sommer

Titel: Ein Kerl macht noch keinen Sommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milly Johnson
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Schokolade getan hatte. Deswegen hatte sie neulich so schlecht geschlafen und war auf der Arbeit so müde gewesen. Testete er aus, bei welcher Menge sie bewusstlos werden würde? Das war doch lachhaft, unglaublich, nichts, was einem Vorstadtpaar in den Fünfzigern im wirklichen Leben widerfuhr. Aber sie lachte nicht, und es widerfuhr ihr tatsächlich, denn sie kauerte an ein Tischbein gebunden auf dem Boden, und Gordon schlief auf einem Stuhl, den Kopf auf die Tischplatte über ihr gelegt. Sie sah, dass das Telefon in der Ecke ausgestöpselt war und das Verbindungsteil gekappt neben dem Kabel lag. Sie versuchte, das Tischbein hochzustemmen, um den Gürtel, mit dem sie gefesselt war, darunter hervorzuziehen, aber es war zu schwer. Außerdem fiel ihr mittendrin auf, dass er den Gürtel an das Holz genagelt hatte. Wie lange liege ich hier schon so? Wie viel Uhr ist es? Welchen Tag haben wir?
    Grace versuchte nachzudenken, aber alle Details blieben verschwommen. Sie wusste nur, dass sie ruhig bleiben musste. Gordon benahm sich nicht mehr wie ein verwöhntes Kind, das seinen Willen nicht bekam; dieses Verhalten jetzt war ein völlig anderes Kaliber. Er war völlig durchgedreht. Sie wusste nicht, wozu er in diesem Zustand fähig war. Sie hatte die Schokolade nur zur Hälfte getrunken – was, wenn sie alles getrunken hätte? Er hätte sie umbringen können.
    Sie wusste nicht, ob es die richtige Taktik war, aber sie musste zu einem gewissen Teil die Kontrolle übernehmen. Sie musste zu dieser Haustür hinauskommen und sich in Sicherheit bringen.
    »Gordon«, rief sie leise, obwohl ihre Kehle noch ausgedörrter war als an dem Tag neulich auf der Arbeit. »Gordon, Schatz.« Das Wort »Schatz« blieb ihr in der Kehle stecken. Sie empfand alles andere als Zuneigung für diesen Mann, der hier in ihrer Nähe schlief. Sie hatte ihn nie zuvor im Schlaf betrachtet. Sein Gesicht sah alt und er völlig anders aus als der lebhafte Mann, der er war. Er sah friedlich und sorglos aus, obwohl er kein Recht dazu hatte.
    »Gordon«, rief sie immer wieder, bis er schließlich schnaubend die Augen aufschlug. Er richtete sich auf, als wüsste er nicht, wo er war oder was er getan hatte. Dann setzte sein Verstand wieder ein, und Grace konnte an seiner Miene ablesen, dass er genau wusste, was Sache war.
    »Gordon, ich muss auf die Toilette«, sagte Grace.
    »Dann wirst du es eben dort erledigen müssen«, sagte er und dehnte seinen Rücken.
    »Gordon, das kann ich nicht. Bitte lass mich aufstehen.«
    Gordon rieb sich die Schläfen und seufzte erschöpft auf. »Ich weiß nicht, was ich mit dir anfangen soll, Grace, ich weiß es wirklich nicht.«
    »Was soll das denn heißen«; ihre Stimme wurde schriller, und sie musste sich zwingen, etwas leiser zu sprechen, »du weißt nicht, was du mit mir anfangen sollst?«
    Er sah sie an, als müsste sie wissen, wovon er redete. Dann sprang er plötzlich auf und brüllte sie an.
    »Du hast mich belogen, Grace. Du hast mich belogen!«
    »Gordon, ich weiß nicht, wovon du redest!« Grace duckte sich, als er die Fäuste ballte und in die Luft reckte, aber sie trafen nicht Grace, als sie niedergingen, sondern nur die Tischplatte, auch wenn sie das Beben bis in ihre Arme spürte.
    »Na ja, jetzt hast du keine Ausrede mehr. Du wirst deinen Job hinschmeißen, Pensionierung oder nicht, jetzt ist endgültig Schluss.«
    »Ich kann mir doch kein Pensionierungsangebot entgehen lassen, Schatz«, sagte Grace mit bebender Stimme. »Es wird nicht lange dauern – es soll bald wieder ein Angebot geben, habe ich gehört.«
    »Du hast schon zwei abgelehnt, du verlogenes Miststück!« Diesmal traf Gordons Handrücken Grace seitlich am Gesicht. Und sie machte sich in die Hose, als der Schlag sie traf.
    »O Gott«, war alles, was sie zu Stande brachte. Jetzt bekam sie es mit der Angst zu tun. Er wusste Bescheid. Wie hatte er das herausgefunden? Die Antwort darauf sollte sie im nächsten Atemzug erfahren.
    »Ich bin zu deiner Arbeit gefahren und habe dort mit jemandem ein interessantes Gespräch über dich geführt«, sagte er in einem entsetzlich wissenden Ton.
    »Mit wem denn?«
    »Das braucht dich gar nicht zu kümmern«, sagte Gordon. »Aber er hat mir gesagt, dass man dir eine Frühpensionierung angeboten hat, und das nicht nur einmal, sondern zweimal , und dass du sie ausgeschlagen hast. Du hast sie zweimal ausgeschlagen und einen anderen Job angenommen.«
    Grace wusste, dass er nicht bluffte. Er hätte unmöglich von selbst

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