Ein Kerl macht noch keinen Sommer
würde, nicht aufbringen konnte. Es stellte alles, was sie war, infrage.
Al zog seine Stiefel und Socken aus, und Dawn schlüpfte aus ihren Sandalen. Sie gingen über den nassen Sand, während die Wellen des Meeres ihre Zehen umspülten, sodass sie vor Kälte kribbelten.
»Fährst du oft ans Meer, Dawny?«
»Nicht sehr oft«, sagte sie. »Es ist ein bisschen weit von Barnsley.«
»Weit? Ach was! Hier in England ist doch alles so nah«, sagte er. »Da solltest du mal in Kanada leben.«
»Wir hatten vor, in die Staaten auszuwandern«, sagte Dawn. »Mum und Dad waren schon dabei, alles dafür vorzubereiten. Sie wollten ein einfaches Leben führen und in Bars Musik machen. Sie wollten nur noch abwarten, bis ich mit der Schule fertig bin.«
»Und das hätte dir gefallen?«
»O ja«, sagte Dawn, ohne überlegen zu müssen. »Meine Eltern wären dort sicher sehr glücklich gewesen, und ich auch. Ich wünschte, sie hätten nicht gewartet. Ich hätte mich schon angepasst. Wir hätten einfach fahren sollen. Das hätte mir wirklich gefallen.«
»Warum tust du es dann nicht jetzt?«
»Weil meine Träume mit den beiden gestorben sind.«
»Warum?«
»Weil …«
Die Worte erstarben ihr auf den Lippen; sie konnte es nicht genau erklären. Seltsamerweise hatte sie sich die Frage selbst noch nie gestellt. Als ihre Mum und ihr Dad gestorben waren, hatte sie sich nie überlegt, dass sie auch ohne sie dorthin ziehen könnte. Und den Traum für die beiden leben könnte, wenn schon nicht mit ihnen.
»Ich weiß, ich habe leicht reden«, räumte Al ein. Sie waren jetzt an einem Strandabschnitt, an dem das Gedränge nicht mehr so groß war. Auf einmal blieb er stehen und wandte sich zu ihr um. Eine Meeresbrise blies ihr eine Haarsträhne ins Gesicht. Er streckte eine Hand aus, nahm die Strähne zwischen seine Finger und steckte sie ihr hinters Ohr. Sie wollte am liebsten ihr Gesicht gegen diese Hand pressen und seine langen Finger an ihrer Wange spüren. Es war so falsch, sich solchen Gedanken hinzugeben, das wusste sie. Aber Canute konnte das Meer nicht aufhalten, und sie diese Gefühle ebenso wenig. Als sie den Blick hob, sah sie, dass er sie anstarrte. Wieder streckte er die Hand aus und berührte sanft ihre Schläfe.
»… aber deine ganzen Träume schlafen noch immer hier drinnen, Dawny. Sie schlafen nur.«
Dawns Herz hämmerte wild. Sie wagte sich nicht zu rühren. Bildete sie es sich nur ein, oder beugten sie sich mit jeder Sekunde, die verstrich, näher zueinander vor?
»Entschuldigung!« Auf einmal schlüpfte ein Junge zwischen ihnen hindurch, der einem großen aufblasbaren Strandball nachlief, sodass sie mit Sand bespritzt wurden. Das verhinderte, was immer als Nächstes passiert wäre, als hätte jemand einen Eimer mit kaltem Wasser über ihnen ausgeschüttet. Sie zuckten voreinander zurück und begannen, schweigend über den Strand zurück zum Parkplatz zu schlendern.
Dawn klappte das Verdeck vollständig zurück, sobald sie im Wagen saßen.
»Ich werde dir jetzt eine der schönsten Gegenden hier zeigen«, sagte sie, bemüht, wieder in den »Dawn die Reiseführerin«-Ton zu fallen.
»Klingt gut, Mädchen«, sagte Al und legte eine CD ein, und dann sangen sie beide zu Nicolette Larson und ihrer rauchigen Softrock-Stimme mit, und Al spielte dazu Luftgitarre. Sie wusste, dass seine Finger, wenn er eine echte Gitarre in Händen hätte, jeden Ton genau treffen würden.
»Du hast eine wunderschöne Stimme, Dawny.«
»Nein, das habe ich nicht«, sagte sie. Sie hatte immer geglaubt, eine ganz passable Stimme zu haben, aber inzwischen hatte sie jedes Vertrauen in ihr Können verloren. »Sie heult immer so verdammt erbärmlich. Sie klingt, als ob sie gleich erwürgt würde«, hatte Calum oft an Muriels Tisch gesagt, und alle hatten gelacht. Dawn sang jetzt nicht mehr laut, wenn irgendjemand in der Nähe war.
»Machst du alles zu Musik?«, fragte sie.
Er zog schelmisch die Augenbrauen hoch, und sie schüttelte den Kopf.
»Ich meine, bist du so wie ich? Hörst du gern Musik im Hintergrund, wenn du isst, kochst du zu Musik, singst du im Bad?«
»O ja, das alles. Und manchmal sitze ich auch einfach nur da, tue gar nichts und höre nur zu.«
Es klang wundervoll, sich einfach zurückzulehnen, mit geschlossenen Augen, und nichts zu tun, als der Musik zuzuhören. Sie konnte sich schon vorstellen, was Calum gesagt hätte, wenn sie ihm vorgeschlagen hätte, das einmal zu versuchen. Dann verscheuchte sie Calum aus ihren
Weitere Kostenlose Bücher