Ein König wird beseitigt
über junge Soldaten zum Zweck homoerotischer Befriedigung. Im historischen Kontext schien es Ludwig II. wahrscheinlich eine mildere Form der Verfügbarkeit der Untertanen zu sein. Aber Zivilisation, Rechtsordnung und bürgerliches Selbstbewusstsein waren seit Max I. Joseph erheblich fortgeschritten. Auch wenn er sich als König nicht im Unrecht gefühlt haben sollte – in seinem Tagebuch finden sich viele schwere Selbstvorwürfe –, er litt als Katholik schwer an der Sünde, am Bruch des religiösen Gebots.
Mit dem Ziel, ein Machtentzugsverfahren gegen den König verfassungsrechtlich abzusichern, war der Staatsrechtslehrer der Universität München Max von Seydel 1884 beauftragt worden, ein Gutachten vorzulegen. Er hat die in der bayerischen Verfassung von 1818 fehlende Regelung, wer im Falle der Notwendigkeit die Regentschaft feststellen, den Kammern zur Ratifizierung vorlegen und den Regenten bestimmen solle, dem nächsten Agnaten als künftigem Regenten unter Mitwirkung der Regierung zugewiesen. Es ist nicht auszuschließen, dass in dieser von Seydel bereits im Lehrbuch 1884 und im Gutachten 1886 veröffentlichten Ergänzung der Verfassung die Absichten des Prinzen Luitpold mitbedacht waren. Der ungewöhnliche Hinweis auf die vorgesehene Regentschaft in Bayern, der sich in Seydels Rechtsgutachten findet, könnte als Verdachtsmoment gedeutet werden. Die Rechtskonstruktion, mit der Seydel die Lücke in der Verfassung schloss, hat jedenfalls das Verfahren in Bayern praktikabel gemacht und dem Regenten die Widerstände aus der wittelsbachischen Familie rechtlich vom Halse gehalten.
Prinz Luitpold konnte ohne Mitwirkung der sich lange sträubenden Regierung das Verfahren nicht in Gang setzen. Im Juli 1885 hatte Prinz Luitpold den Minister Lutz bestellt und ihm unter Hinweis auf die Belastung der Dynastie und des Staates durch das Verhalten des Königs nahegelegt, tätig zu werden. Wieder erklärten sich Lutz und seine Kollegen nicht zum Eintritt in ein Verfahren bereit. Erst nachdem Prinz Luitpold dem Vorsitzenden Minister Lutz versichert hatte, er wolle im Falle der Regentschaftsannahme das gesamte Ministerium im Amt belassen, traten sie dem Machtentzugsverfahren bei und übernahmen die ihnen verfassungsgemäß zufallende Aufgabe der Ausführung unter der Befehlsgewalt des künftigen Regenten. Als der Königetwa einen Monat später den Finanzminister von Riedel aufforderte, sich um die Schuldendeckung der Kabinettskasse zu kümmern, und damit die Regierung in seine Finanzprobleme mitzuverwickeln suchte, als er schließlich die verweigernden Minister abzusetzen plante, engagierten sie sich auch aus vitalem Interesse am Verfahren.
Nach seinem Verzicht auf mildere verfassungsgemäße Lösungen entschied sich Prinz Luitpold für ein Machtentzugsverfahren mit Einsetzung einer Regentschaft nach Titel II §11 der bayerischen Verfassung von 1818. Prinz Luitpold und die Regierung benötigten nun einen angesehenen Psychiater, der bereit war, die Feststellung, dass der König mindestens ein Jahr wegen Geisteskrankheit regierungsunfähig ist, zweifelsfrei zu treffen.
Nach einer noch unzureichend aufgeklärten Suche nach einem geeigneten Gutachter – gefragt und nicht beauftragt worden war offenbar der Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie an der Universität Wien, Professor Leidesdorf – wurde der hof- und regierungsnahe Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie an der Universität München, Bernhard von Gudden, am 15. März 1886 vom Kronrat angehört und ausgewählt. Vom 23. März 1886 an nahm er mit den beiden für die Ausführung des Verfahrens mitverantwortlichen Ministern, Lutz und Crailsheim, an mehreren konspirativen abendlichen Vernehmungen von Zeugen in der Privatwohnung von Lutz teil. Gudden hat von Anfang an bis zur Begutachtung mit unverrückbarer Sicherheit erklärt, der König sei verrückt und regierungsunfähig, obwohl er ihn nur ein einziges Mal in seinem Leben –12 Jahre zuvor – gesehen hatte.
Zwei Wochen vor der Bestellung als Gutachter hat Gudden unter Bruch der Schweigepflicht sein Urteil über den König dritten Personen in extenso mitgeteilt. Am 7. Juni 1886 hat Prinz Luitpold in der von ihm geleiteten Sitzung des Ministerrats Professor von Gudden und drei weiteren bayerischen Psychiatern die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens über die Regierungsfähigkeit des Königs befohlen. Am Tag darauf haben die drei auswärtigen Psychiater das von Gudden verfasste Gutachten mit unterzeichnet. Am
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