PR 2669 – Wettstreit der Konstrukteure
1.
Blut und Chrom
4235 NRG
Der Anblick hatte etwas Absurdes.
Cholaquin Port'aldonar blickte auf das breiige Rot, das einmal sein Bauch gewesen war.
Bei seinen vielen Studiengängen und Schulungen hatte er die Themen Medizin und Biologie stets gemieden. So wusste er nun nicht, welche Organe er gerade betrachtete, obwohl ihm das Benennen sinnvoll vorgekommen wäre.
Cholaquin schluckte mühsam, brachte es nicht fertig, den Blick von seinem Bauch zu nehmen. Die Eingeweide zuckten und ringelten sich, als wären sie eklige Lebewesen, die zuvor unter seiner Bauchdecke gehaust hatten und sich nun dampfend in den kühlen Morgen reckten.
Wie seltsam.
Genauso seltsam wie dieser im Grunde seiner Existenz unsinnige Krieg und diese Schlacht um einen strategisch unbedeutenden Planeten.
Nunngar würde in den Annalen der Mowener höchstens am Rande erwähnt werden, wenn ihn nicht beide Imperien als nationales Heiligtum beanspruchen würden. Sechs Standardjahre dauerte der Kampf um Nunngar bereits, der längst in einen erbarmungslosen Grabenkampf zerfallen war. Millionen junger Mowener und Orfenar hatten ihr Leben für eine Sache gegeben, die sie höchstwahrscheinlich nicht einmal im Ansatz begriffen.
Seltsam war auch der Zeitpunkt, an dem er sich darüber Gedanken machte: während er ebenso bemüht wie ungeschickt versuchte, mit schmutzstarrenden Fingern seine Eingeweide zusammenzuhalten.
Er kam aus gutem Hause, das Letzte, was er benötigt hatte, war der schmale Sold eines Reichskämpfers gewesen. Aber nein, der patriotische Rausch hatte ihn beseelt. Der entrüstete Widerstand des Vaters gegen seine Pläne hatte Cholaquin dazu bewogen, sich bei den Bodentruppen zu melden anstelle bei den Technikeinheiten, die ein nachgesagtes Junggenie wie ihn nur allzu gut hätten gebrauchen können.
Aber nein, er hatte sich und der Welt etwas beweisen müssen. Und nun lag er da und starrte auf seinen Bauch.
Der Irrsinn hatte drei Tage und Nächte gedauert. Das war zwei Tage und drei Nächte länger, als der überforderte Suhabwe-Kommandant vorausgeplant hatte.
Der Fehler war – wie Cholaquin rasch festgestellt hatte – durch einen simplen Kommunikationsfehler zwischen der Aufklärungs- und der Nachrichteneinheit zustande gekommen. Nicht knapp einhundert, sondern mehr als zehntausend Kämpfer der Orfenar hatten sie in der Stellung 87.456 überrascht. Denn bei diesem Kampfplatz hatte es sich mitnichten um ein Waffenlager gehandelt. Die Stellung 87.456 war nichts anderes gewesen als das geheime Haupt-Truppenlager der Orfenar auf Nunngar.
Mit ihrem Kommandounternehmen hatten Cholaquin und seine Kameraden buchstäblich in ein Karr-Nest gestochen. Aber das hatten sie erst bemerkt, als sie die Wachen überrumpelt hatten und mitten in der unterirdischen Anlage standen.
Als Ersten hatte es ausgerechnet ihren Suhabwe-Kommandanten erwischt. Der Mann hatte unter den Rangabzeichen den Intellekt einer Zimmerpflanze verborgen gehalten, sodass Cholaquin sich nie die Zeit genommen hatte, auch nur seinen Namen zu memorieren.
Als er von einem blitzartig reagierenden Orfenar mit einer Explosivwaffe getötet wurde, zerfiel die Suhabwe mit ihren exakt 144 Kämpfern in die Einzelteile.
Die einen hatten sich sofort in die Kämpfe gestürzt und innerhalb weniger Dutzend Atemzüge ein Viertel ihrer Munition verschwendet. Die einzelnen Zugführer hatten daraufhin versucht, einen gemeinsamen Plan zu entwickeln, aber die Dynamik der sich ausweitenden Schlacht hatte ihre Pläne schneller zunichtegemacht, als dass sie Befehle an ihre Untergebenen hatten weitergeben können.
In den chaotischen Szenen hatte niemand bemerkt, wie Cholaquin ihren Zugführer mit einem gezielten Schuss aus dem Elektroschocker handlungsunfähig machte. Er übernahm das Kommando über seinen Zug und befahl ein Rückzugsgefecht. Sobald sie den nächstgelegenen Ausstieg erreichten, forderte er Luftunterstützung an. Es dauerte nicht lange, bis die Kriegsbarken eintrafen und die ebenfalls in Stellung gefahrenen Bodenpanzer der Orfenar mit Brandteppichen zudeckten.
Ab diesem Zeitpunkt zersplitterten Cholaquins Erinnerungen zu unzähligen Fragmenten. Jedes für sich gestochen scharf, aber ungeordnet und chaotisch wie die sich ständig verändernden Muster in einem Kaleidoskop.
Er sah Hunderte, nein, Tausende von Kriegern, die durch die Ausstiege an die Oberfläche krabbelten wie Käfer bei einem Kontinentalbeben. Mowener, Orfenar, alles wild durcheinander, sich gegenseitig helfend
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