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Ein Koffer voller Tiere

Ein Koffer voller Tiere

Titel: Ein Koffer voller Tiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Malcolm Durrell
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vertieft, nickten und wiegten die Köpfe, sperrten die großen Schnäbel auf und schrien und jammerten hysterisch. Die phantastischen Köpfe mit den wurstförmigen Helmen und den riesigen Schnäbeln hoben sich gegen den Himmel ab wie geisterhafte Teufelsmasken aus einem ceylonesischen Tanz.
    Das nicht endenwollende Insektenkonzert hatte sich mit dem Anbruch der Dunkelheit vertausendfacht, und das Tal unter uns schien davon zu vibrieren. Irgendwo begann ein Laubfrosch seinen Gesang mit einem langen, trillernden Ton, auf den eine Pause folgte, als ob er mit einem winzigen Luftbohrer ein Loch durch den Baum bohre und hin und wieder anhalten müsse, um sein Instrument auskühlen zu lassen. Plötzlich hörte ich ein neues Geräusch, einen Ton, den ich nie zuvor wahrgenommen hatte. Fragend blickte ich zu Elias hinüber. Er hatte sich gerade aufgerichtet und spähte in das dämmrige Lianen-Blättergeflecht um uns herum.
    »Na, was ist das?« flüsterte ich.
    »Vogel, Sah.«
    Der erste Schrei kam von weit unterhalb des Hügels, ihm folgte ein zweiter, viel näherer. Ich kann den seltsamen Ton nur sehr mangelhaft beschreiben, es klang wie das plötzliche scharfe Japsen eines Pekinghündchens, nur flötenähnlicher und klagender. Wieder und wieder hörten wir den Schrei. Den Vogel jedoch konnten wir nicht sehen. Angespannt starrten wir durch das Dunkel.
    »Meinst du, daß es der Picathartes ist?« flüsterte Bob.
    »Ich weiß nicht... ich habe diesen Ton noch nie gehört.« Eine Weile hörten wir nichts. Dann plötzlich klang es nahe. Unbeweglich lagen wir hinter unserem Felsen. Dicht vor uns stand ein neun Meter hoher Baum, von dem Gewicht einer Liane gebeugt, die sich wie ein dickes Seil um ihn herumschlang. Der Hauptstamm war durch das Gezweig eines noch näher stehenden Baums verborgen. Während alles um uns herum dämmrig und verschwommen blieb, stand dieser junge Baum, von der ihn erstickenden Liane liebevoll umschlungen, in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne, die das ganze Arrangement wie ein übergenau gemaltes Gemälde hervortreten ließ. Und dann erschien plötzlich auf dieser kleinen Bühne ein wirklicher, lebender Picathartes.
    Ich sage »plötzlich« und meine es auch so. Im tropischen Wald nähern sich Tiere und Vögel im allgemeinen so lautlos, daß sie plötzlich, unerwartet, wie von Zauberhand hervorgebracht, vor einem auftauchen. Die dicke Liane hing in einer riesigen Schlinge vom Wipfel des Baumes herab. Auf dieser Schlinge trat der Vogel in Erscheinung, leicht schwingend, den Kopf zur Seite gewandt, als lausche er. Es ist immer erregend, ein Tier in seiner natürlichen Umwelt zu beobachten. Hat man gar eine Seltenheit vor sich, ein Geschöpf, das bisher höchstens ein Dutzend Menschen gesehen hat, ist man völlig gebannt und verzaubert. Bob und ich lagen da und starrten heiß und begierig auf den Vogel, wie ein paar Philatelisten, die in einem Kinderalbum eine blaue Mauritius entdeckt haben.
    Der Picathartes war ungefähr so groß wie eine Dohle, sein Körper hatte jedoch die rundlichen, geschmeidigen Formen einer Amsel. Er hatte lange, kräftige Beine und große, offensichtlich scharfe Augen. Die Brust war von zartem, sahnigem Chamois. Der Rücken und der lange Schwanz hatten ein wunderbar blasses, leicht eingestaubtes Schiefergrau. Das Ende der Schwingen war schwarz. Dieses Schwarz unterstrich raffiniert die Farbe der Brust und des Rückens. Am meisten zog der Kopf den Blick an und ließ ihn nicht wieder los. Stirn und Scheitel dieses völlig kahlen Schädels zeigten ein lebhaftes Himmelblau, der Hinterkopf ein rosiges, leuchtendes Krapprot, Seiten und Wangen waren schwarz. Im allgemeinen wirkt ein kahlköpfiger Vogel ziemlich aufreizend; man meint, er litte an einer schweren, unheilbaren Krankheit. Picathartes jedoch mit seinem dreifarbigen Kopf sah großartig aus, es schien, als trage er eine Krone.
    Als er einige Minuten auf der Liane gehockt hatte, flog er auf den Boden und sprang mit gewaltigen Sprüngen zwischen den Felsen hin und her. Diese Sprünge glichen eigentlich gar nicht denen eines Vogels. Picathartes schien dabei in die Luft zu schnellen, als wären seine kräftigen Beine Sprungfedern. Dann entschwand er unseren Blicken, und wir hörten seinen Ruf, der fast augenblicklich von einem zweiten auf dem Kliff beantwortet wurde. Als wir aufsahen, erblickten wir einen Picathartes auf dem Zweig über uns. Er äugte auf die Nester an der Vorderseite des Kliffs. Plötzlich drehte sich der

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