Ein Kuss und Schluss
Nacht bei dir? Sag es mir!«
Paula starrte ihn immer noch an, schockiert und verblüfft zugleich. Dann schüttelte Renee sie am Arm, damit sie aufwachte.
»Paula! War er die ganze Nacht bei dir?«
»J-ja. Die ganze Nacht. Aber ... als Mann angezogen.«
»Ich bin nicht schwul, Paula«, sagte Tom in flehendem Tonfall. »Ich schwöre es bei Gott. Ich habe nur diese ...« Er stieß langsam den Atem aus. »... diese Vorliebe für Frauenkleider.«
Paula stöhnte und vergrub ihr Gesicht in den Händen.
»Aber du weißt, dass ich singen kann, und Steve erzählte mir von dieser Talentshow. Ich dachte, wenn ich die tausend Dollar gewinne, kann ich dir wenigstens einen Teil des Geldes zurückzahlen, das ich dir schulde.«
In Paulas Gehirn musste das absolute Chaos herrschen. Renee wünschte sich, sie könnte sich die Zeit nehmen, ihr ein wenig Mitgefühl entgegenzubringen. Aber sie war immer noch fest davon überzeugt, dass eine Verbindung zwischen den Ohrringen und dem Raubüberfall bestand, und sie musste mehr darüber herausfinden.
»Einen Moment«, sagte sie zu Tom. »Du hast erwähnt, Steve hätte vorgeschlagen, dass du an diesem Wettbewerb teilnimmst. Bedeutet das, er weiß über ...« Sie deutete mit einer vagen Geste auf sein Outfit. »... all das Bescheid?«
Tom schloss die Augen. »Ja. Aber er ist der Einzige. Und er weiß es nur, weil er irgendwann meine Sachen gefunden hat, als wir zusammengewohnt haben.«
»Ihre Ohrringe«, sagte John. »Sie sehen genauso aus wie die, die der Räuber getragen hat. Haben Sie sie in letzter Zeit ausgeliehen?«
»Nein! Natürlich nicht!«
»Das kann einfach kein Zufall sein«, sagte John zu Renee. »Wenn er sie niemandem geborgt hat, wer könnte sie dann in die Finger bekommen haben?«
Die Frage hing eine Weile unbeantwortet in der Luft. Dann kam Renee eine Idee, die so grotesk war, dass es ihr kaum gelang, sich eine klare Vorstellung davon zu machen.
Sie zeigte auf Toms Perücke. »Ist das deine einzige Perücke?«
Er warf Paula einen Seitenblick zu und wand sich. »Nein.«
»Hast du auch eine blonde? Eine Perücke aus langen blonden Haaren?«
»Ja.«
»Eine Bluse mit Leopardenmuster?«
»Ja.«
»Weiße Schuhe?«
Tom verzog angewidert das Gesicht. »Ja, schon, aber die würde ich niemals zusammen mit der Leopardenbluse tragen!«
Vielleicht war es doch nicht so grotesk.
Sie lief zum Vorhang zurück. Die anderen folgten ihr eilig und standen hinter ihr, als sie den Blick über das Publikum schweifen ließ. Sie konzentrierte sich auf die DJ-Kabine neben der Theke. Steve stand wieder mit Kopfhörern hinter dem Plattenteller und verfolgte aufmerksam die Ansagen des Moderators.
»Renee«, sagte John. »Was hast du vor?«
Ihre Gedanken rasten viel zu schnell, um ihm antworten zu können. Es war schon verrückt genug, so etwas nur zu denken.
Dann fiel ihr Blick auf die Eingangstür des Clubs, und ihr wäre fast das Herz stehen geblieben. Soeben kam jemand herein. Jemand, der um die zwei Meter groß war. Jemand mit mehr Tattoos als Gehirnwindungen. Jemand mit einem Glatzkopf, der im Neonlicht glänzte.
»Das ist Leandro«, sagte John. »Wie zum Teufel kommt der Kerl hierher?«
Renee beobachtete, wie er zur DJ-Kabine hinüberging und ein paar Worte mit Steve wechselte. Dann blickten beide gleichzeitig auf und sahen sich im Club um. Renee erlitt beinahe einen Nervenzusammenbruch. Sie suchten nach jemandem.
Sie suchten nach ihr.
Sie wirbelte herum und starrte Tom an. »Hast du Steve gesagt, dass ich mir ein Zimmer im Motel genommen habe? Bevor der Kopfgeldjäger mich geschnappt hat?«
Tom presste die Lider fest zusammen.
»Sag es mir!«
»Äh ... es könnte sein, dass ich etwas in der Art zu ihm gesagt habe.«
In Renee kochte brodelnde Wut hoch, eine Wut, die während der schrecklichen Tage im Gefängnis angefacht worden war, als sie sich gefragt hatte, ob ihr Leben jetzt vorbei war. Jetzt wusste sie genau, was sich in jener Nacht zugetragen hatte. Sie wusste, wer für alles verantwortlich war. Und sie wusste auch, warum es ihr nicht gelang, einen ganz bestimmten Kopfgeldjäger abzuschütteln, weil er nämlich einen Informanten hatte. Einen Informanten, der ein Interesse daran hatte, dass sie im Gefängnis landete. Weil er ungestraft davonkam, wenn er ihr die Schuld in die Schuhe schieben konnte.
Sie riss den Vorhang zur Seite und stürmte die Stufen hinunter.
»Renee! Bleib hier!«
John setzte ihr nach, aber schon wieder war das Publikum aufgesprungen, um zu
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