Ein Kuss und Schluss
der erste Gedanke, der ihr in den Sinn kam. Zweifellos hatte Alex ihn überzeugt, dass es falsch gewesen war, sie laufen zu lassen. John war zum Motel gefahren und hatte festgestellt, dass sie nicht da war. Dann hatte er sich überlegt, dass sie vielleicht zur Talentshow gegangen war. Und jetzt würde er sie ins Gefängnis bringen, nachdem ihm klar geworden war, dass er genau das schon viel früher hätte tun sollen ...
»Die Ohrringe!«, rief er ihr zu, um sich im Lärm des Publikums verständlich zu machen. »Der Mann auf der Bühne! Ich glaube, das sind die Ohrringe!«
Renee wäre vor Erleichterung beinahe zusammengebrochen. Er hatte sich genauso wie sie auf die Suche nach dem Täter gemacht, und auch ihm waren die Ohrringe aufgefallen. Er war nicht gekommen, um sie zu verhaften - er war gekommen, um ihr zu helfen.
Judy Garland näherte sich dem Ende des Songs und hielt den letzten hohen Ton, während das Publikum in tosenden Beifall ausbrach.
John nahm Renees Hand und drängte sich durch die Menge, dann hastete er die Stufen hinauf, die zum Backstage-Bereich führten, und wischte den Vorhang beiseite. Renee sah, wie Judy Garland die Bühne verließ und von einem anderen Wettbewerbsteilnehmer zum gelungenen Auftritt beglückwünscht wurde.
John ging weiter, riss den Mann herum und drückte ihn gegen eine Wand. Er zog ihm einen Ohrring ab.
»He!«, protestierte das Double. »Was machen Sie da?«
John hielt den Ohrring hoch, und Renee spürte, wie ihr Herz gegen den Brustkorb hämmerte. Es war ein Regenbogen. Kein Zweifel. Genauso, wie ihn die alte Dame aus dem Supermarkt beschrieben hatte.
Renee war überzeugt, dass sie den Mann vor sich hatte, der für den Raubüberfall verantwortlich war. Sie wusste nicht, was nötig war, um es zu beweisen, aber für sie stand fest, dass sie den Täter gefunden hatten.
Dann trafen sich ihre Blicke.
Renee erstarrte, als sie unter der dicken Make-up-Schicht etwas Vertrautes in diesem Gesicht erkannte. Sie kam näher, um es sich genauer anzusehen. Als ihr klar wurde, wer sich mit falschen Augenwimpern und knallrotem Lippenstift maskiert hatte, klappte ihr der Unterkiefer herunter.
»Tom!«
Tom riss die mit blauem Lidschatten geschminkten Augen auf.
»Renee! Was machst du denn hier?«
Renee starrte Tom an und war vor Verblüffung wie gelähmt. Das konnte nicht sein. Das war einfach nicht möglich. Tom hatte in seinem Leben mehr Frauen gehabt, als Sterne am Himmel standen, und nun hatte er sich selbst als Frau verkleidet?
Dann ergab mit einem Mal alles Sinn. Jetzt wusste Renee, wer die vielen Frauen waren, die sie aus seiner Wohnung hatte kommen sehen. Sie waren keine Frauen, mit denen Tom fremdgegangen war.
Sie waren Tom.
»Du darfst Paula nichts sagen!«, flehte er sie an. »Tu es nicht! Sie hat keine Ahnung, Renee. Sie würde mich verfluchen. Sie würde mich verlassen. Bitte versprich mir, dass du ihr nichts sagst!«
Renee war immer noch so verdutzt, dass es eine Weile dauerte, bis ihr die Wahrheit klar wurde. Aber schließlich kam die Erkenntnis. Er trug die Ohrringe. Er war es.
»Du Mistkerl!« Sie holte aus und schlug mit geballten Fäusten auf ihn ein, immer wieder, bis er die Arme hob, um sich zu schützen.
»Renee! Hör auf, Renee!«
Sie prügelte weiter auf ihn ein, bis John sie packte und von Tom wegzerrte. Sie wand sich in seinem Griff, aber er hielt sie fest.
»Er war es, John! Tom hat den Supermarkt überfallen, und er hat versucht, mir die Schuld in die Schuhe zu schieben!«
Toms Augenbrauen hoben sich bis zum Rand seines künstlichen Ponys. »Wovon redest du?«
»Stell dich nicht dumm! Du trägst die Ohrringe!«
»Ohrringe?«
»Der Räuber hatte große Ohrringe in Regenbogenfarben. Genauso wie deine. Du warst es!«
»Nein! Ich kann es gar nicht gewesen sein! Du weißt doch, dass ich an diesem Wochenende mit Paula im Hilton war.«
»Na und? Du könntest dich weggeschlichen haben, um den Supermarkt zu überfallen.«
»Ich war die ganze Nacht mit Paula zusammen. Ich schwöre es!«
Dann blickte Tom über Renees Schulter und stöhnte laut auf. Sie drehte sich um und sah, wie sich ihre Freundin in Zeitlupe näherte.
Paula schwankte leicht auf den hohen Absätzen, und ihr Pfauenfedernhut saß etwas schief auf dem Kopf. Langsam und fassungslos nahm sie die Sonnenbrille ab. »Tom?«
»Paula!«, rief Tom entsetzt. »Was machst du hier?«
Paula starrte ihn nur mit offenem Mund an.
»Ist das wahr, Paula?«, wollte Renee wissen. »War er die ganze
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