Ein Kuss vor Mitternacht
Unterstützung bei der Aufsicht ihrer beiden Töchter, die in dieser Saison in die Gesellschaft eingeführt werden.“
„Wieso Hilfe? Um den Mädchen beim Schwatzen und Tanzen zuzuschauen? Sie sollten der Aufgabe nicht so viel Bedeutung beimessen. Und Ihre Tante kann Ihnen kaum das Tanzen verbieten. Auf Lady Simmingtons Ball müssen Sie tanzen. Sie engagiert die besten Musiker in ganz London. Ich denke, ich werde mal mit Ihrer Tante darüber sprechen.“
Constance spürte, wie ihre Wangen sich röteten.„Ich glaube kaum, dass ein Herr mich zum Tanz bittet, Mylady.“
„Unsinn. Selbstverständlich werden Sie aufgefordert. Wir müssen nur Ihre Garderobe etwas aufpolieren. Ich denke an ein dunkelblaues Seidenkleid in meinem Schrank, das ich ausrangieren sollte. Die Farbe dürfte Sie fabelhaft kleiden. Mein Mädchen kann es ändern und aufputzen, und niemand wird es erkennen. Sie müssen mich vor dem Ball besuchen und es anprobieren.“
„Aber, Mylady, Sie sind zu gütig. Ein so großzügiges Geschenk kann ich nicht annehmen.“
„Nun, dann betrachten Sie es nicht als Geschenk, sondern als Leihgabe, die Sie mir am Ende der Saison zurückgeben. Und bitte Schluss mit diesen Förmlichkeiten … Mylady … und so. Ich heiße Francesca.“
Constance blickte sie verdutzt an. „Ich … ich weiß nicht, was ich sagen soll.“
„Wie wäre es mit ‚Danke für das Kleid, Francesca‘.“
„Ich danke Ihnen sehr dafür. Aber ich …“
„Wie bitte? Wollen Sie nicht mit mir befreundet sein?“
„Nein! … Ja!“ In ihrer Verwirrung verhedderte Constance sich. „Im Gegenteil“, verbesserte sie sich. „Ich wäre liebend gern mit Ihnen befreundet. Aber Sie sind zu großmütig.“
„Mir sind einige Personen bekannt, die Ihnen in diesem Punkt widersprechen und sagen würden, ich sei keineswegs großmütig“, entgegnete Francesca belustigt.
„Sie machen es mir schwer, Nein zu sagen“, erklärte Constance kleinlaut.
Francescas weiße Zähne blitzten bei ihrem schalkhaften Lächeln. „So sollte es auch sein. Daran habe ich viele Jahre gearbeitet. Ah … da sind wir schon. Nun hören Sie auf, sich zu zieren, und helfen mir, die richtige Entscheidung bei der Wahl des Hutes zu treffen.“
Constance schob ihre Bedenken beiseite und folgte Lady Haughston in den Hutsalon, wo sie von einer adretten Verkäuferin freundlich empfangen wurden. Kurz darauf wurde der Samtvorhang zum Hinterzimmer zurückgeschlagen, und die Inhaberin des Ladens begrüßte ihre Kundin.
Francesca probierte beide Hüte an. Einen weichen dunkelblauen Samthut mit schmaler Krempe und zartem Spitzenschleier, der ihre Augen verschattete. Danach einen breitrandigen Strohhut mit blauer Seide unterfüttert und einer blauen Schleife unter dem Kinn gebunden. Beide Kreationen brachten das Blau ihrer Augen vorteilhaft zur Geltung, und auch Constance fiel die Entscheidung schwer, welchen Hut Francesca wählen sollte.
„Setzen Sie die Hüte mal auf“, schlug Francesca vor. „Ich will wissen, wie sie an Ihnen aussehen.“
Constance zierte sich ein wenig, brannte aber insgeheim darauf, den Strohhut aufzusetzen. Und dann lächelte sie ihrem Spiegelbild zu.
„Fantastisch!“ Lady Haughston klatschte begeistert in die Hände. „Er kleidet Sie ganz vorzüglich. Den kaufen Sie, und ich kaufe den Samthut.“
Constance begutachtete sich unschlüssig im Spiegel. Das blaue Seidenband harmonierte auch mit ihren grauen Augen, und sie hatte in diesem Jahr noch keinen neuen Hut gekauft, allerdings würde der Preis gewiss ein großes Loch in ihre Ersparnisse reißen.
Seufzend nahm sie ihn ab und schüttelte den Kopf. „Nein, ich fürchte, er ist mir zu teuer.“
„Aber nein, gewiss nicht. Ich glaube sogar, das Modell ist im Preis herabgesetzt, nicht wahr, Mrs. Downing?“, fragte sie die Hutmacherin.
Mrs. Downing, sich der Vorzüge wohlbewusst, eine Kundin wie Lady Haughston zu haben, nickte lächelnd. „Ganz recht, Mylady. Er kostet … ähm … ein Drittel weniger, als auf dem Preisschild steht.“
„Ein Drittel weniger, ein wahres Schnäppchen“, rief Francesca im Brustton der Überzeugung.
Constance las das Preisschild und rechnete rasch im Kopf nach. Selbst wenn sie ein Drittel von der Kaufsumme abzog, hatte sie nie zuvor so viel Geld für einen Hut ausgegeben. Allerdings hatte sie auch noch nie einen ähnlich schönen Hut besessen.
„Gut“, erklärte sie schließlich und verabschiedete sich damit von ihrem Taschengeld für diesen Monat. „Ich
Weitere Kostenlose Bücher