Ein Kuss vor Mitternacht
Spielverderberin zu sein.“
Francesca machte ein flehendes Gesicht, und Constance beeilte sich, ihr zu versichern, dass sie an dem Ausflug teilnehmen würde. „Aber ich lasse Sie nur höchst ungern allein, wenn Sie krank sind.“
Francesca hustete, schüttelte aber heftig den Kopf. „Nein. Ich habe Sie nicht nach Redfields eingeladen, damit Sie meine Krankenschwester spielen. Sie amüsieren sich, darauf bestehe ich.“
Constance war es gar nicht recht, die Freundin allein zu lassen. Maisie betrat das Zimmer mit einer Schüssel dampfenden Wassers, in dem aromatische Kräuter schwammen, und stellte sie neben das Bett ihrer Herrin.
„Glauben Sie mir, Miss“, raunte Maisie Constance vertraulich zu, als sie sie zur Tür brachte. „Sie hasst es, wenn jemand sie in diesem Zustand sieht. An mich ist sie gewöhnt, und ich weiß, was ich zu tun habe.“
Die treue Zofe stand seit vielen Jahren in Francescas Diensten und wusste zweifellos besser, wie sie ihre Herrin gesund pflegen konnte. Also ging Constance reinen Gewissens nach unten, um sich der Ausflugsgesellschaft anzuschließen.
Sie konnte nicht leugnen, dass sie einen Stich des Neids empfand, als sie Muriel Rutherford im Sattel einer edlen Fuchsstute sah. Muriels gertenschlanke Figur kam in einem streng geschnittenen, anthrazitgrauen Reitkostüm fabelhaft zur Geltung, dazu trug sie einen verwegenen kleinen Hut, einem militärischen Tschako ähnlich, schräg auf dem Scheitel ihres schwarzen Haares. Miss Rutherford lenkte die unruhig tänzelnde Stute mit eleganter Anmut, ihre Augen hatten einen beinahe warmen Glanz. Im Sattel befand sie sich eindeutig in ihrem Element.
Auch Lord Leighton saß im Sattel, wie die meisten der jüngeren Herren, und Constance konnte nicht umhin, seine Erscheinung zu bewundern. Hochgewachsen und breitschultrig wirkte er so schneidig, als wäre er im Sattel geboren worden. Francesca hatte ihr erzählt, dass er ein Regiment befehligt hatte, und Constance sah vor ihrem inneren Auge, wie er an der Spitze seiner Soldaten in die Schlacht ritt.
Constance musste sich damit begnügen, im offenen Landauer mit ihrer Tante und ihrer Cousine Georgiana zu fahren, die Pferde nicht ausstehen konnte. Mit von der Partie war noch Miss Cuthbert, ein stilles, zurückhaltendes Mädchen, eine Großnichte der Duchess. Die Fahrt verlief, genau wie Constance befürchtet hatte. Tante Blanche riss das Gespräch an sich, plapperte endlos über die vorzügliche Qualität des Essens in Redfields, die behaglichen Gästezimmer und war selbstverständlich des Lobes voll für die grandiosen künstlerischen Darbietungen von Miss Rutherford am Pianoforte.
Constance, die den Lobreden ihrer Tante über das künstlerische Ausnahmetalent von Miss Rutherford nur mit halbem Ohr lauschte, bemerkte, wie Lord Leighton sich aus der Reitergruppe löste und zurückblieb, um neben der offenen Kutsche herzureiten. Er zog den Hut und grüßte die Damen mit einer galanten Verneigung. Georgiana und Tante Blanche erwiderten seinen Gruß überschwänglich, und selbst Miss Cuthbert schien in seiner Gegenwart eine Spur lebhafter zu werden.
Er wandte sich an Constance.
„Ich stelle mit Bedauern fest, Miss Woodley, dass Sie nicht reiten.“
„Auch ich bedaure das, Mylord. Aber ich vergaß, ein Reitkostüm einzupacken“, entgegnete sie aufrichtig.
„Dem kann gewiss abgeholfen werden“, erklärte er. „Es findet sich bestimmt ein passendes Kleid für Sie. Wir müssen demnächst gemeinsam ausreiten. Ich möchte Ihnen die Gegend zeigen.“
„Mit dem größten Vergnügen, Mylord“, antwortete Constance lächelnd, die aus den Augenwinkeln die neidischen Blicke von ihrer Tante und ihrer Cousine wahrnahm.
„Wie ich höre, besitzen Sie ein ganz entzückendes Sommerhaus“, mischte Tante Blanche sich ins Gespräch ein. „Es wäre gewiss eine große Freude für die jungen Damen, es zu besichtigen, nicht wahr, Georgiana?“
„O ja, Mama“, antwortete Georgiana eifrig.
„Ich werde Ihren Vorschlag an meine Mutter weiterleiten“, entgegnete Lord Leighton freundlich. „Vielleicht arrangiert sie einen Ausflug zum Sommerhaus, falls sie so etwas nicht bereits geplant hat. Wir haben früher so manches Picknick dort veranstaltet.“
Constance verkniff sich ein Lächeln über seinen gelungenen Schachzug, Tante Blanches kaum verborgene Aufforderung, Georgiana das Sommerhaus vorzuführen, höflich abzulehnen. „Ein Picknick klingt verlockend“, sagte Georgiana freudestrahlend und drehte
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