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Ein Kuss vor Mitternacht

Ein Kuss vor Mitternacht

Titel: Ein Kuss vor Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Candace Camp
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heller.
    Beim Betreten des Gotteshauses erklärte er die Entstehung des normannischen Kirchturms aus dem 13. Jahrhundert und machte die Besucher auf die kunstvoll geschmiedeten und gehämmerten Eisenbeschläge des Eichenportals aufmerksam. Im Kirchenschiff rühmte er die historischen und architektonischen Besonderheiten des Bauwerks mit dunkler, getragener Stimme, der die Gläubigen bei seinen Sonntagspredigten gewiss gebannt lauschten. Dem achteckigen Taufbecken aus gehämmertem Messing aus dem fünfzehnten Jahrhundert schenkte er besondere Beachtung. Anschließend widmete er sich den von flämischen Künstlern geschaffenen hohen Buntglasfenstern, denen das durchscheinende Sonnenlicht eine besondere mystische Leuchtkraft der Farben verlieh.
    Die Besucher schritten an Grabmälern vorbei mit den in Stein gehauenen Bildnissen verstorbener Lordschaften, darunter auch der besonders kunstvoll gestaltete Sarkophag von Lord Florian Fitz Alan, gleichfalls aus dem 13. Jahrhundert, Vorfahr aller späteren Lords Leighton und Earls of Selbrooke, deren Grabstätten und Gedenksteine sich an der Ostmauer der Kirche aufreihten. Der Begründer der Dynastie ruhte auf einem steinernen Totenbett, das Schwert gegürtet, die Hände vor der Brust zum Gebet gefaltet, die Füße auf dem Rücken seines treuen Jagdhundes gebettet.
    Man bewunderte die mittelalterlichen Fresken der zwölf Apostel an der Wand, im Laufe der Jahrhunderte ausgeblichen und fast bis zur Unkenntlichkeit verblasst; das gotische Spitzbogengewölbe, das dunkle Kirchengestühl aus Jakobinischer Zeit und die hohe Kanzel, mit ihrem muschelförmigen Dach. Die der Familie des Earls vorbehaltene Kirchenbank direkt vor dem Altar war wesentlich geräumiger als die übrigen und mit einer hohen Rückenlehne versehen, um die Betenden vor den Blicken der Kirchenbesucher aus dem gewöhnlichen Volk abzuschirmen.
    Constance hielt ein wenig Abstand zur Gruppe und studierte die Inschriften auf den Gedenksteinen. Sie bewunderte die unerwarteten Sehenswürdigkeiten und Kunstschätze der Kirche, aber ihr Hauptinteresse galt den Gedenktafeln an die Verstorbenen, die in dieser Kirche gebetet hatten.
    „Die Fitz Alans sind eine grässlich selbstgefällige Sippe, nicht wahr?“, murmelte eine trockene Stimme hinter ihr. Sie drehte sich nach Lord Leighton um, der auf eine Gedenktafel aus Marmor wies, deren Inschrift die Tugenden des ersten Earl of Selbrooke pries.
    Constance lächelte. „Auf Gedenksteinen werden stets die guten Eigenschaften des Verstorbenen gelobt.“
    „Hmm, richtig. Aber ich kenne das Porträt dieses Burschen und kann Ihnen sagen, dass er auf mich eher den Eindruck eines grausamen Tyrannen macht und nicht den eines ‚gütigen und liebevollen Vaters und gerechten Herrn‘. Der da hingegen …“, er deutete auf die nächste Gedenktafel, „… hatte ein fliehendes Kinn und einen gehetzten Gesichtsausdruck. Seine Gemahlin soll eine wahre Furie gewesen sein, was vermutlich seine verängstigte Miene erklärt.“
    Constance lachte leise und schalt in gespielt ernstem Tonfall: „Sie dürfen nicht so streng über Vorfahren urteilen.“
    „Wenn Sie erst unsere Ahnengalerie sehen, werden Sie mir recht geben. Ich zeige sie Ihnen demnächst, dann verstehen Sie mich.“
    Sie kamen an weiteren Tafeln vorbei, die Dominic mit spöttischen Bemerkungen kommentierte.
    „Hören Sie auf“, bat Constance ihn tadelnd. „Sie bringen mich zum Lachen, und das schickt sich nicht in einer Kirche.“
    Lord Leighton blickte zur Gruppe hinüber, die sich vor einem Seitenaltar um den Pfarrer scharte, der einen Vortrag über die spätgotischen Schnitzereien hielt, nahm Constance am Ellbogen und schaute zu einer kleinen Seitentür. „Gehen wir ein paar Schritte im Freien, um diesen heiligen Ort nicht zu entweihen.“
    Constance begleitete ihn in den alten Kirchhof, einen stillen, verträumten Ort der Ruhe mit uraltem Baumbestand knorriger Eichen und Eiben. Die Gräber waren mit Gras überwuchert, moosbewachsene Grabsteine standen schräg geneigt, manche waren zur Seite gekippt, die Eisengitter der Einfassungen mit Efeu überrankt. In alten Steinurnen blühten bunte Wiesenblumen, ein verwilderter Rosenstrauch überwucherte den steinernen Torbogen. Das verwunschene Bild einer Märchenidylle.
    Sie liefen den schmalen grasbewachsenen Pfad entlang, der sich an den Gräbern vorbeischlängelte, hielten gelegentlich inne, um die bemoosten Grabinschriften zu lesen, die kaum noch zu entziffern waren. Ein

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