Ein Kuss zum Dessert (German Edition)
Nachtisch, der noch lange nach dem letzten Bissen in der Erinnerung derer bleiben würde, die ihn verspeist hatten.
Sie sah sich selbst als Spezialistin, ähnlich wie ein befähigter Chirurg. Und in der Tat hatte sie studiert, gelernt und praktiziert, beinahe genauso lang wie ein Mitglied einer medizinischen Fakultät. Fünf Jahre, nachdem sie in Paris, der Stadt, in der dasEssen zur Kunst erhoben wurde, die hohen Anforderungen erfüllt hatte, die nötig waren, „Cordon-bleu-Chef“ zu werden, hatte sie sich den Ruf erworben, so temperamentvoll zu sein wie ein Künstler, das Gedächtnis eines Computers zu haben, wenn es um Rezepte ging, und die Hände eines Engels bei deren Zubereitung.
June döste in ihrem Sitz in der ersten Klasse vor sich hin und sehnte sich nach einem simplen Stück Pizza. Sie wusste, der Flug würde viel schneller vergehen, wenn sie lesen oder schlafen würde. Sie entschied sich, beides zu tun, zuerst würde sie ein wenig schlafen, denn ihr Schlaf war ihr genauso heilig wie das Rezept für ihre „Mousse au Chocolat“.
Wenn sie erst einmal wieder in Philadelphia war, so erwartete sie dort ein echt hektischer Terminplan. Sie musste eine „Bombe“ zubereiten für den Wohltätigkeitsball des Gouverneurs, dann erwarteten sie das Treffen der Gourmet-Gesellschaft, die Demonstration ihrer Kunst in einer Fernsehsendung … und dann noch diese Besprechung, dachte sie benommen.
Was hatte diese Frau am Telefon gesagt?, überlegte June. Drake – nein, Blake, Blake Cocharan der Dritte, von der Cocharan-Hotelkette. Großartige Hotels, dachte June. Sie hatte einige davon in unterschiedlichen Ländern besucht. Mr. Cocharan der Dritte hatte ihr einen geschäftlichen Vorschlag zu machen.
June nahm an, dass er von ihr einen besonderen Nachtisch zubereitet haben wollte, den er exklusiv in seinen Hotels anbieten wollte, etwas, das es nur in den Cocharan-Hotels gab. Sie war dem gar nicht abgeneigt – unter den entsprechenden Bedingungen. Und selbstverständlich gegen die entsprechende Bezahlung. Natürlich müsste sie sich zuerst das Cocharan-Unternehmen genauer ansehen, ehe sie sich einverstanden erklärte, ihrenguten Namen mit dem Unternehmen in Verbindung zu bringen. Wenn auch nur eines der Hotels nicht ihrem Qualitätsstandard entsprach …
Mit einem Gähnen entschied sich June, später darüber nachzudenken – nachdem sie sich mit „dem Dritten“ persönlich getroffen hatte. Blake Cocharan der Dritte, dachte sie mit einem belustigten Lächeln. Rundlich, wahrscheinlich mit Glatze und auch mit Verdauungsschwierigkeiten. Sicher trug er italienische Schuhe, eine Schweizer Uhr, französische Hemden und fuhr einen deutschen Wagen – und ohne Zweifel betrachtete er sich als Amerikaner. Wieder gähnte June, dann seufzte sie, als sie erneut an die Pizza dachte. Sie lehnte den Kopf zurück, entschlossen zu schlafen.
Blake Cocharan der Dritte saß auf dem Rücksitz seiner metallicgrauen Limousine und ging noch einmal den Bericht des neuesten Cocharan-Hotels in Saint Croix durch. Er war ein Mann, der ein heilloses Durcheinander in kürzester Zeit in eine perfekte Ordnung bringen konnte, für ihn war Chaos nur eine Art von Ordnung, die mit Logik entwirrt werden musste. Und Blake war ein sehr logisch denkender Mensch. Für ihn leitete Punkt A unzweifelhaft zu Punkt B und dann zu Punkt C. Ganz egal, wie verwirrt etwas auch sein mochte, mit Logik und Geduld fand er immer einen Weg.
Nicht allein aufgrund dieses Talentes besaß Blake mit seinen fünfunddreißig Jahren absolute Kontrolle über das Cocharan-Imperium. Seinen Reichtum hatte er geerbt und dachte demzufolge auch kaum darüber nach. Seine Position in dem Imperium jedoch hatte er sich erarbeitet, und deshalb war sie für ihn von Bedeutung. Für die Cocharan-Hotels war nur das Beste gut genug,angefangen von der Bettwäsche bis hin zum Mörtel, mit dem die Häuser gebaut wurden.
Und der ihm vorliegende Bericht über June Lyndon sagte ihm, dass sie die Beste war.
Er legte die Papiere über das Hotel in Saint Croix zur Seite und zog eine andere Akte aus seinem Aktenkoffer.
June Lyndon, dachte er, als er die Akte öffnete, achtundzwanzig Jahre alt, studiert an der Sorbonne, Cordon-bleu-Chef. Ihr Vater war Rothschild Lyndon, Mitglied des Britischen Parlaments, ihre Mutter, Monique Dubois Lyndon, eine Französin, war früher Filmschauspielerin gewesen. Die Eltern hatten sich einvernehmlich getrennt und waren seit dreiundzwanzig Jahren geschieden. June
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