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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Hack sehen, ohne dass sich in ihr alles zusammenkrampfte. Sie stellte die Dusche ab, nahm das Handtuch, und während sie sich abtrocknete, versuchte sie zu erkennen, ob Nils’ Wagen schon wieder auf dem Hof stand. Von dem Fenster aus konnte sie ihn jedoch nicht entdecken. Sie schaute auf ihre Uhr, die auf einem Tischchen lag. Es war sieben. Gleichzeitig verspürte sie einen Mordshunger. Spontan rief sie Angelica an und reservierte zwei Plätze. Dann machte sie sich auf die Suche nach ihrem Vater, um ihm von dem Anruf bei der Polizei zu berichten. Sie klopfte an seine Tür und öffnete sie, als er antwortete.
    Auf seinem Bett lag aufgeklappt sein Koffer, er faltete gerade ein paar Hemden hinein. Befremdet sah sie ihm zu. »Was machst du da, Dad?«
    »Ich fliege morgen zurück«, antwortete er ruhig, rollte seine Socken zusammen und verstaute sie in den Lücken zwischen den anderen Sachen.
    Die Ankündigung traf sie wie ein Schlag. »Warum denn das?«
    »Du brauchst mich nicht mehr, du kommst hier sehr gut allein zurecht. Außerdem ist es mir zu heiß.« Sorgfältig legte er seine langen Hosen in die Bügelfalten. Dann sah er sich suchend im Zimmer um, öffnete die Schranktüren, sah nach, ob er etwas vergessen hatte. »Ich habe einen Flug um zwölf nach Johannesburg gebucht. Ich muss also schon vor acht Uhr hier los.«
    Ihr Herz tat weh, als sie das hörte. Er konnte nicht schnell genug von hier wegkommen. Von ihr wegkommen, setzte sie in Gedanken hinzu. Die meisten Flüge nach Europa verließen Johannesburg erst spätabends, er hätte also reichlich Zeit gehabt und erst spätnachmittags zu fliegen brauchen. Er hätte überhaupt noch nicht zu fliegen brauchen, dachte sie wütend.
    Er musste ihren Gesichtsausdruck beobachtet und richtig gedeutet haben. »Du vermutest richtig«, sagte er, »ich räume das Feld und überlasse es dir. Ich werde zu alt für Afrika.«
    »Du bist erst achtundfünfzig, du bist nicht zu alt, auch nicht für Afrika«, stieß sie hervor. »Ich brauche dich doch.« Das sagte sie sehr leise.
    Nachdenklich schaute er aus dem Fenster, ließ seinen Blick über das wandern, was einmal ihm gehört hatte. Mit einem milden Lächeln sah er dann sie an. »Für dieses Afrika schon. Ich verstehe es nicht mehr.« Er streckte eine Hand aus und strich ihr übers Haar. »Mein Kätzchen ist eine junge Löwin geworden … du gehörst hierher. Du hast genug Kraft. Die Hyänen werden dir nicht nehmen können, was deins ist. Mich brauchst du dafür nicht mehr.«
    Sie weinte später, als sie allein war in ihrem Zimmer. Sie weinte um ihn, um ihre Mutter, um ihre Tochter und ihren Mann, um alles, was sie verloren hatte. Und um sich selbst. Um ihre Kindheit, die unwiderruflich vorbei war, um das Leben, das hätte sein können, um die heile Welt, die es nicht mehr gab. Sie schaute durch die Gitter vor ihren Fenstern in den Himmel, der fein säuberlich in Stücke geschnitten war, sah das Blinken des metallenen Zauns, der sich wie ein Schnitt unterhalb des Hauses quer durch den Busch zog, hinter dem Küchentrakt hochlief und dann den Hofbereich von der Straße trennte. Zwar hatte ihre Mutter versucht, ihn mit Kletterpflanzen zu tarnen, doch man sah seinen Verlauf deutlich. Sie versuchte, sich vorzustellen, was Johann und Catherine gesehen hatten, wenn sie von diesem Platz über ihr Land geblickt hatten. Das Paradies?
    Ihr fiel etwas ein, was Catherine geschrieben hatte, als sie das erste Mal den Boden von Inqaba betrat.
    »Afrika ist ein ständiger Kampf, es gibt hier nichts, was sanft und mild wäre. Alles ist unbändig und so voller Kraft, dass mir angst wird. Ich werde diesem Land etwas von der Kraft entreißen müssen, um hier zu bestehen. Das werde ich sicherlich tun. Denn das Land ist großartig. Ich werde nie wieder woanders leben können.«
    Das hatte Catherine geschrieben. Jill stand noch am Fenster, sah einem Adler nach, der sich höher und höher in den Abendhimmel schraubte. Ein feuriger Rand um die Hügelkuppen zeigte, wo die Sonne untergegangen war. Ihre letzten Strahlen vergoldeten den Vogel, das Symbol der Freiheit und der Weite, er schwang sich höher, ein winziger glühender Punkt im endlosen Firmament. Das Herz klopfte ihr im Hals. Sie sah den Zaun nicht mehr, auch nicht die Gitter. Sie stand da und schaute dem Adler nach, bis die Nacht über den Himmel zog wie ein dunkelblauer Samtvorhang und aus dem goldenen Adler ein funkelnder Stern wurde.
    Jetzt hatte sie gesehen, was Catherine gesehen hatte.
    Nun

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