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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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hatten. Doch indem er seine fünf Kinder Nana Essie, Essie, Kofi Atta, Efua Atta und Kobina nannte, setzte er unverkennbar auf eine stolze, unabhängige afrikanische Zukunft für sie.
    Für H. R., wie er von Freunden und Kollegen genannt wurde, gehörte der ständige Wechsel zwischen den Lagern unauflöslich zu seinem Leben, seiner Herkunft und seiner politischen Haltung. Er lehnte es ab, sich zu entscheiden – zwischen radikaler Veränderung und Status quo, Tradition und Moderne, Stamm und Nation, Fante und Aschanti, Afrika und Europa. Stattdessen erklärte er, die einzig tragbare Art der Veränderung hin zur Selbstregierung sei eine, die das stolze Erbe des ghanaischen Volks achte und eine ausgewogene Gesellschaft schaffe, die in der Lage sei, auf eigenen Füßen zu stehen und die Unabhängigkeit zum Erfolg zu führen. Er brachte das Kunststück fertig, eine Stütze der Gesellschaft und zugleich jemand zu sein, der die unterschiedlichsten Anhänger aus Stamm, sozialer Schicht und Berufsumfeld um sich scharte.
    Als Manager ging er wie seine europäischen Kollegen jeden Tag in dunklem Anzug und steifem Kragen zur Arbeit, während er zu Hause, in der Großfamilie meiner Großmutter in Kumasi, Traditionalist war. In einer Gesellschaft, in der die Menschen mit ihrem Stamm und Dorf identifiziert wurden, entstammte er selbst einer Mischehe zwischen Fante und Aschanti, und unter seinen Frauen waren sowohl Fante als auch Aschanti. H. R. hatte vier Frauen, die ihm fünf Kinder gebaren, darunter meine Zwillingsschwester Efua und ich.
    Mein Vater arbeitete als Manager bei der United Africa Company, einem Tochterunternehmen des englisch-holländischen Konzerns Lever Brothers, der später unter dem Namen Unilever bekannt wurde. Aufgrund seiner Arbeit zogen wir während meiner gesamten Kindheit ständig um – von Kumasi nach Accra und Bekwai, von Koforidua nach Nsawan und Nkakaw. Durch den häufigen Wechsel des Wohn- und Lebensumfelds lernten wir ganz Ghana kennen. Meine Mutter Rose lebte mit meiner Halbschwester Ewura Efua in Cape Coast. Bis wir als Jugendliche in ein Internat in Cape Coast kamen, sahen meine Zwillingsschwester Efua Atta und ich sie nur selten. Eine wichtige Konstante in unserem Nomadenleben war dagegen das Familienhaus in Kumasi, in das wir immer wieder zurückkehrten. Dort trafen wir auf drei Generationen von Tanten und Onkeln, und in den vielen heiklen Momenten der Kindheit war immer jemand da, der einem mit Rat und Liebe zur Seite stand, indem er die subtilen Botschaften von Sprichworten einsetzte. »Man schlägt niemandem auf den Kopf, wenn man die Finger zwischen seinen Zähnen hat« war eins dieser Sprichworte, das uns daran erinnerte, dass wir auch im Streit noch miteinander verbunden waren. Jeder Tag brachte neue Gesichter, eine neue Sprache oder Stammestradition in unser Haus und lehrte uns etwas über den Reichtum der bunten Melange von Kulturen und Völkern. So wurden wir in einer Stammesgesellschaft nicht stammesgebunden, in einer Ära des radikalen Aktivismus politisch gemäßigt und in einer Zeit der Parteinahme konziliant erzogen.
    Damals, in den dreißiger und vierziger Jahren, war die Goldküste eine kleine britische Kolonie in Westafrika, in der die Aussicht auf Unabhängigkeit zunehmend die Gemüter bewegte. In der Spätphase der Goldküste – die schließlich unter dem Namen Ghana als erstes Land südlich der Sahara unabhängig werden sollte – aufzuwachsen bedeutete, einen vollständigen Wandel von Kultur und Gesellschaft mitzuerleben. 1948, als ich zehn Jahre alt war, war die Unabhängigkeitsbewegung voll entwickelt, und als ich erwachsen wurde, wurde auch Ghana eine freie Republik. Das Land bildete die Vorhut einer afrikanischen Emanzipation, die innerhalb von nur zwei Jahren 16 neue afrikanische Mitglieder in die Vereinten Nationen brachte.
    Für die Ghanaer war es eine Zeit großer Hoffnung und Zuversicht. Man erwartete, dass Afrika eine rasante Entwicklung nehmen würde. Endlich würde man die Chance haben, selbst zu schaffen, was die Kolonialmächte, wie man ihnen vorwarf, einem vorenthalten hatten. Für mich selbst war das Erwachsenwerden untrennbar mit dem Unabhängigkeitskampf verknüpft. Politik besaß eine Bedeutung und einen Zweck, die über Stamm, Ideologie und die Verteilung der Beute, die seither in so vielen afrikanischen Gesellschaften die Norm geworden ist, hinausgingen. Die gesamte Gesellschaft mobilisierte sich, denn jeder trug auf seine Weise zum Kampf für die

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