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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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UGCC am Unabhängigkeitskampf seines Landes teilnehmen und gleichzeitig seine beruflichen Pflichten in einem kolonialen Konzern erfüllen –, brauchte man Geduld, Gelassenheit und die Fähigkeit, Wert und Verdienst in unterschiedlichen Zusammenhängen zu erkennen. Zwischen britischen Managern auf der einen und ghanaischen Revolutionären auf der anderen Seite musste er seine Werte und sein Engagement sorgfältig abwägen, ohne dass seine Würde dabei je Schaden genommen hätte. Dies machte ihn zu einem disziplinierten Mann, der gegenüber Schwäche und Feigheit wenig Nachsicht übte.
    In dieser Hinsicht stand mein Vater für eine tief verwurzelte kulturelle Tradition von Geduld, Verhandlung und Versöhnung. Für Ghanaer war das Konzept des afrikanischen Palaverbaums schon immer ein anschaulicher Teil ihres Erbes und eine Quelle des Friedens und der relativen Harmonie zwischen der Vielzahl von Stämmen und Religionen. Der Palaverbaum war ein Ort, an dem man sich zusammenfand, um miteinander zu reden, nach Kompromissen zu suchen und Streitigkeiten beizulegen, Differenzen zu überbrücken und die Einigkeit zu stärken. Natürlich gab es parallel zu dieser Tradition jahrhundertelang Kriege zwischen den Aschanti und anderen Stämmen, die ausbrachen, wenn kein Kompromiss gefunden wurde und man stattdessen zur Gewalt griff. In jüngerer Zeit, in den ersten Jahrzehnten der Republik, hat eine ganze Reihe von Militärputschen, die den Charakter des Landes versehrt und es in seiner Entwicklung zurückgeworfen haben, gezeigt, dass auch wir unserem Erbe gelegentlich nicht gerecht werden.
    Dennoch stößt die Idee des Gesprächs unter dem Palaverbaum auch im Ghana des 21. Jahrhunderts auf Widerhall. Wenn man ein Problem hat und keine Lösung findet, trifft man sich am nächsten Tag wieder und redet so lange weiter, bis eine gefunden ist. Auch wenn man mit dem Verhalten oder der Meinung eines anderen nicht einverstanden ist, geht man nie so weit, ihn als wertlos zu bezeichnen. Diese Einstellung gilt ebenso für das Verhältnis zwischen traditionellen Häuptlingen und ihren Stämmen und reicht von Fällen, in denen Missbrauch oder Arroganz verhandelt werden, bis hin zur Absetzung eines Häuptlings, der das Vertrauen und den Respekt seines Volks verloren hat.
    Als ich mit 13 Jahren ins Internat kam, war ich durch ein breites Spektrum an Ereignissen und Einflüssen geprägt, die zu einem Fundament aus Selbstvertrauen, Toleranz und Disziplin wurden. Von meinem Vater hatte ich gelernt, dass es auch in Zeiten eines grundstürzenden Wandels wie der Unabhängigkeit eines Landes möglich ist, einen eigenständigen Kopf zu bewahren, und dass inmitten vermeintlicher Gewissheiten und absolut gesetzter Auffassungen eine kritische Perspektive von wesentlicher Bedeutung ist. Er lehrte mich, dass es, wenn andere auf Parteinahme drängen und von einem Entweder-oder sprechen, stets noch einen anderen Weg gibt, welcher der komplexen Realität der modernen Welt angemessener ist. Sein eigenes Leben war von der Koexistenz von Stamm und Sprache, Stellung und Zweck bestimmt – der Mischung aus ererbter Tradition und Hoffnung, mit der Menschenwürde als zentralem Element, die für Afrika einen Neuanfang ermöglichen konnte.
    Ich gehörte in meinem Internat, der Mfantsipim School in Cape Coast, der »Unabhängigkeitsklasse« von 1957 an, und mir und meinen Mitschülern waren die Politik und das Schicksal unseres Landes stets gegenwärtig. Obwohl die Mfantsipim das große Verdienst hatte, Jungen aus allen Stämmen und Regionen Ghanas zusammenzubringen und zu Bürgern des neuen Staates zu erziehen, spiegelte das Leben in der Schule auch die allgemeine Spaltung der Gesellschaft wider zwischen leidenschaftlichen Nationalisten und Gemäßigten, die damals Demokraten genannt wurden.
    Mfantsipim, Ghanas älteste Knabenschule, war von Methodisten gegründet worden und hielt sich an den üblichen britischen Lehrplan, wurde aber bereits von Afrikanern geleitet. Wir trugen Khakiuniformen, kurze Hosen, aber keinen Schlips, außer zu dem weißen Sonntagsanzug. Jeden Morgen versammelten wir uns in einer nüchternen Halle zum Gebet; am Sonntag dauerte es etwas länger. Alles war spartanisch: kleine Holztische, Steinfußböden, nackte Wände, Wellblechdächer. Neben dem Lernen und der Charakterbildung wurde der Stoizismus hochgehalten. Doch so sehr sich unsere Lehrer auch bemühten, unser Augenmerk auf den Lehrstoff zu richten, so wenig konnten sie verhindern, dass der

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