Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Unabhängigkeitskampf jede Schulstunde, jede Diskussion und jeden Streit auf dem Spielplatz durchdrang. Eine beliebte Freizeitbeschäftigung waren Rollenspiele, in denen die Debatten der Erwachsenen über Art und Zeitpunkt der Unabhängigkeit nachgespielt wurden; es gab zwei Fraktionen, die jeweils die Argumente einer Seite vertraten. Wir hielten sogar Parlamentswahlen ab, wobei ich als »stellvertretender Oppositionsführer« gegenüber den hitzigen Nationalisten für die Sache der Gemäßigten stritt. Durch diesen Einsatz für die demokratische Seite, mit der natürlich auch mein Vater in der Öffentlichkeit identifiziert wurde, verdiente ich mir rasch den Spitznamen »Annan-Domo«.
Es war nicht immer leicht in der Schule, umgeben von jungen Männern, die ungeduldig auf die Gelegenheit warteten, ihre Kraft und Autorität zu beweisen, und ich teilte ihre Bewunderung für Nkrumahs Mut und Hartnäckigkeit. In jenen Jahren wurden wir Zeugen tiefgreifender Veränderungen. Plötzlich gab es keinen britischen Generalgouverneur mehr, und ein Ghanaer wurde Präsident. Wir wuchsen also in dem Glauben auf, dass ein Wandel, selbst ein Wandel von ungeheuren Ausmaßen, möglich ist.
Als ich die anspruchsvolle, aber geschlossene Welt der Mfantispim School verließ und an die Universität für Wissenschaft und Technologie in Kumasi ging, nahm ich vor allem eines mit: die Leidenschaft für Politik und Debatten in einer Zeit dramatischer – und für viele unvorstellbarer – Veränderungen. In Kumasi schloss ich mich dem Nationalen Bund Ghanaischer Studenten an und erhielt bald darauf als dessen Vizepräsident eine Einladung zu einer Konferenz in Sierra Leone, auf der ich die ghanaische Studentenbewegung vertreten sollte. Junge Männer und Frauen aus der gesamten Region diskutierten auf der Konferenz leidenschaftlich über die Zukunft ihrer Länder, den Unabhängigkeitskampf und die Zeit nach der Unabhängigkeit. Im Publikum befand sich auch ein Vertreter des von der Ford Foundation aufgelegten Programms für ausländische Studenten mit Führungseigenschaften. Es war dazu gedacht, in den Entwicklungsländern geeignete Studenten aufzuspüren und ihnen die Chance zu geben, in den Vereinigten Staaten zu studieren, damit sie später in ihrer Heimat den Aufbau unabhängiger Staaten voranbringen konnten. In meinem Fall wurde daraus ein Stipendium für das Macalaster College in Minnesota – einem Bundesstaat, dessen Klima, Gesellschaftsaufbau und Rassenzusammensetzung sich kaum stärker von meiner Heimat hätten unterscheiden können. Meine Familie stellte sich vor, dass ich mit meiner amerikanischen Bildung nach Ghana zurückkehren und Großes für meine neue Nation leisten würde. Ich teilte diese Vorstellung. Bildung war nach meinem Verständnis mit Dienst verknüpft. Nie hätte ich mir träumen lassen – und meine Eltern ebenso wenig –, dass ich Ghana nahezu für immer verließ und Amerika mein Denken auf solch vielfältige Weise herausfordern und beeinflussen würde.
Obwohl ich in einer stabilen, sicheren Familie aufgewachsen war und eine Schule besuchen durfte, die mir die Augen für die Macht von Wissen und Verständnis öffnete, war ich nicht immun gegen die vergiftete Hinterlassenschaft des Kolonialismus und dessen auf Rasse beruhender Hierarchie. Eine Erfahrung in dieser Hinsicht hatte ich mit dem Arbeitgeber meines Vaters. Sie bildete den Anlass für die erste wirkliche Meinungsverschiedenheit zwischen Vater und Sohn. Am Anfang meines Berufslebens, während ich für die Weltgesundheitsorganisation in Genf arbeitete, trat Unilever an mich heran – vermutlich auf Bitten meines Vaters – und bot mir eine Stelle in Afrika an. Statt mich in Ghana einzusetzen, wollte man mich jedoch nach Nigeria schicken, was an sich kein Problem gewesen wäre. Doch der Teufel steckte im Detail.
Während andere im Ausland eingesetzte Mitarbeiter besondere Verträge mit der Zusage der Firma erhielten, ihren Umzug und andere Dinge zu regeln, sollte ich als einheimischer Angestellter behandelt werden, da ich, wie man es ausdrückte, »aus der Region« stammte. Auf eine solche Behandlung war ich weder durch meine ghanaische Erziehung noch durch meine amerikanische Bildung, noch durch meine internationalen Erfahrungen als Mitarbeiter der WHO vorbereitet. Ich wäre ein Ausländer in einem anderen Land gewesen, ein Ghanaer in Nigeria, aber Unilever wollte mich als »Einheimischen« behandeln. Ich lehnte das Angebot ab. Auf diese Weise wollte ich
Weitere Kostenlose Bücher