Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Tage später im Oktober heimgesucht werden sollte.
Das alles lag bei meinen ersten praktischen Erfahrungen mit der UN -Friedenssicherung im Jahr 1973 noch in ferner Zukunft. Ich war als administrativer Leiter für Zivilpersonal zur damals im Gang befindlichen friedenssichernden Mission in Ägypten geschickt worden. Die UN -Noteinsatztruppe in Ägypten ( UNEF II ) war entsandt worden, um nach dem arabisch-israelischen Krieg von 1973 den Rückzug der Truppen von der Sinaihalbinsel zu überwachen. Ihre Aufgabe bestand darin, die Waffenstillstandslinie zwischen Ägyptern und Israelis zu ziehen und beiden Seiten die Sicherheit zu geben, dass die jeweils andere diese »Linie im Sand« beachtete. Wie alle friedenssichernden Einsätze hatte auch dieser mit einer Vielzahl von Komplikationen zu kämpfen, die sich Tag für Tag auch auf meine Arbeit auswirkten. Es gab alle möglichen administrativen und logistischen Probleme, die sich daraus ergaben, dass eine Vielzahl von Nationen in der Truppe vertreten war: Finnland, Schweden, Peru, Irland, Kanada, Polen, Panama und andere. Das hatte ein Nebeneinander mehrerer Kommando- und Logistikketten und zahlreicher Sprachen sowie Reibungen zwischen den verschiedenen militärischen und administrativen Kulturen zur Folge. Zudem entsandten die einzelnen Nationen ihre Truppen zu verschiedenen Zeitpunkten und zogen sie ebenso ungeordnet wieder ab, so dass die Größe der Truppe ständig variierte.
Aber UNEF II war, wie fast alle derartigen Einsätze vor dem Ende des Kalten Krieges, für die Teilnehmer eine weitgehend sichere, friedliche Mission. Jetzt, 1993 auf dem Boden von Somalia, traten die gleichen Schwierigkeiten wie in den siebziger Jahren in Ägypten auf – aber in einem völlig anderen, von gewalttätiger Instabilität geprägten Umfeld, in dem die Truppe keinerlei Frieden sicherte. Stattdessen musste sie sich häufig durchs Land kämpfen. Wie immer Politiker, UN -Vertreter und Medienkommentatoren die Operation in Somalia nannten, es war eine höchst komplizierte Form der Kriegführung, an der die UN -Truppen beteiligt waren.
»Die UN sollte hier einmarschieren und die Verwaltung der Bevölkerung von Mogadischu übernehmen, nicht wahr?«, fragte ein Reporter. »Meinen Sie nicht auch, dass das der einzige Weg wäre, um die Angelegenheit hier zu lösen?«
»Dafür bräuchte man enorm viele Soldaten«, erwiderte ich, »und zwar solche, die die entsprechenden Risiken auf sich nähmen. Es wäre ein Krieg.«
Dieses Interview hatte einige Monate zuvor stattgefunden, im September 1992, als ich Beigeordneter Generalsekretär und stellvertretender Chef der UN -Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze ( DPKO ) war. Die Frage des Reporters spiegelte die schneidige, unkritische Naivität wider, die mit dem neuen Interesse der Weltgemeinschaft an humanitären Missionen einherging. Angesichts der furchtbaren Szenen, die in den Fernsehnachrichten über Somalia zu sehen waren, wollten viele, dass rasch etwas unternommen wurde, ohne die Implikationen ganz zu durchdenken – was insbesondere für den politischen Willen galt, der erforderlich war, wenn ihre Forderung erfüllt werden sollte. Das Ergebnis dieser Entkopplung zwischen den vorgeblichen Zielen der Weltgemeinschaft und den Ressourcen und Risiken, die sie zu übernehmen bereit war, um sie zu erreichen, sollte zur Haupttriebfeder der künftigen Friedenssicherungsversuche werden.
In dieser Zeit stand die Friedenssicherung am Anfang einer explosionsartigen Ausweitung von Umfang, Zahl und Zielen der weltweiten Einsätze, durch die sich ihr Beitrag zur globalen Sicherheitslage grundlegend wandelte. Zwischen 1987 und 1992 waren bei den meisten Missionen (außer bei krassen Ausnahmen, wie der relativ großen Operation in Namibia) hundert oder weniger Beobachter eingesetzt worden, die ein vergleichsweise geringes Risiko eingingen. Anfang 1994 waren indes insgesamt achtzigtausend Soldaten in 17 friedenssichernden Einsätzen weltweit stationiert, von denen die meisten nach dem Januar 1992 begonnen hatten. Viele Friedenssicherungskräfte gerieten plötzlich in Gefahr. Hinzu kam, dass die neuen Missionen im Gegensatz zu fast allen früheren friedenssichernden Einsätzen, bis auf ein oder zwei Ausnahmen, in von Bürgerkriegen zerrissene Gebiete entsandt wurden.
Das waren gewaltige quantitative und qualitative Veränderungen. Ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Faktoren führte die Vereinten Nationen in einige ihrer schwersten Krisen und
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