Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Regierungschefs ausgehandelt werden.
Anfang September 2002 rief mich der deutsche Außenminister Joschka Fischer an, um seine Sorge über den Weg, auf dem wir uns befanden, auszudrücken. Ich teilte ihm meinen Eindruck aus Gesprächen mit einer Reihe von Staatsmännern mit, dass ein wachsendes Unbehagen über die möglichen Auswirkungen herrsche, die das präventive Vorgehen eines einzelnen Staats auf das Völkerrecht hätte. Denn: »Was für einen Präzedenzfall würde es setzen!« Die Unterstützung der Vereinten Nationen für eine Militäraktion, betonte ich, würde allen Schritten, die gegen den Irak unternommen würden, Legitimität und Legalität verleihen.
Noch im selben Monat hob George W. Bush vor der Generalversammlung Saddams Verletzung einer Vielzahl von Sicherheitsratsresolutionen hervor. In meiner Rede vor der Versammlung erwiderte ich darauf, dass es keinen legitimen Gewalteinsatz gebe, es sei denn, er sei vom Sicherheitsrat abgesegnet, und dass immer noch Zeit sei, einen friedlichen Ausweg zu suchen. Nach der Sitzung sprach ich mit Tony Blair, für den es in den Verhandlungen über eine neue Resolution weniger um das Ziel der Entwaffnung ging. Aus seiner Sicht war es in erster Linie ein Test der UNO durch die Vereinigten Staaten. Dies sei »ein kritischer Moment für die UNO , die die USA davon überzeugen müsse, dass sie die nötigen Mittel besitze, um in Zukunft wirkungsvoll und relevant zu sein«.
Während sich die Verhandlungen über eine Resolution zur Rückkehr der UN -Inspektoren in den Irak intensivierten, wuchs auf allen Seiten der Verdacht, dass sie weit weniger um das Thema der Vernichtung der irakischen Massenvernichtungswaffen kreisten als vielmehr um die Frage, wer im internationalen System künftig als oberste Instanz dem Einsatz von Gewalt Legitimität verleihen würde. Konkret drehte sich die Debatte um jene ein oder zwei Resolutionen, die nötig wären, um einen Gewalteinsatz zu rechtfertigen, falls die Iraker – wie die meisten erwarteten – ihre Verpflichtungen nicht erfüllen sollten. Wer würde die Feststellung treffen, dass sie nicht mehr kooperierten, und wer würde über die Konsequenzen entscheiden – ein einzelner Staat oder der Sicherheitsrat als Ganzer? Während die Vereinigten Staaten ihre Dominanz über diesen Prozess untermauern wollten, sperrten sich Frankreich und die anderen Sicherheitsratsmitglieder immer stärker dagegen.
Eine Schlüsselfrage war jene nach dem Grad des »Automatismus«, das heißt danach, ob eine erhebliche Verletzung der Bedingungen der neuen Resolution automatisch die Zustimmung des Sicherheitsrats zum Einsatz von Gewalt nach sich ziehen würde. Am 28. September stellte der französische Präsident Chirac in einem Telefongespräch mir gegenüber klar, dass Frankreich in diesem Fall sein Veto einlegen werde. Colin Powell trat daraufhin in intensive Verhandlungen mit seinem französischen Kollegen Dominique de Villepin ein und teilte mir am 4. Oktober telefonisch mit, er versuche »in der Frage des Automatismus eine Brücke zwischen ihnen und uns« zu schlagen. Er habe Villepin gesagt, dass es für beide Seiten nicht gut sei, »Handgranaten aufeinander zu werfen«, und dass man unbedingt eine Lösung finden müsse, die für beide Seiten annehmbar sei.
Mitte Oktober sah ich mich zwischen den stark divergierenden Interessen der mächtigsten Sicherheitsratsmitglieder immer mehr eingezwängt, so dass es mir zunehmend schwerer fiel, eine ausgleichende Haltung zu bewahren. Am 11. Oktober rief Powell mich an, um mir vorzuwerfen: »Sie sind auf die französische Linie mit zwei Resolutionen eingeschwenkt, mein Freund.« Eine Woche später versicherte er mir: »Wir haben unser Recht nicht aufgegeben, mit gleichgesinnten Freunden zu handeln, wenn es nötig ist.« Ich folgte keineswegs der französischen Linie; vielmehr hielt ich an der Position fest, dass ein vom Sicherheitsrat gemeinsam unterstütztes Ergebnis die beste Lösung darstellte.
Am selben Tag rief der russische Außenminister Igor Iwanow an, um die Haltung Russlands zu bekräftigen: »Wenn die Resolution darauf abzielt, die Operation der Inspektoren zu stärken, sind wir bereit, konstruktiv mit ihnen zusammenzuarbeiten. Aber wenn sie darauf abzielt, einen legalen Rahmen für ein militärisches Vorgehen zu schaffen, ist das für uns unannehmbar.« Die neuerliche Spaltung des Sicherheitsrats, die nach der kurzzeitigen Einigkeit nach dem 11. September 2001 eingetreten war, hatte sich zu
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