Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
neue Freunde suchen. Es ist vorbei.«
Als Colin Powell erneut ums Wort bat, spürten alle den Ernst des Augenblicks. Er begann mit der Feststellung, er sei in dieser Gruppe allen gut bekannt, und fuhr dann fort: »Ich habe hier nach einer friedlichen Lösung gesucht, und es ist immer noch Zeit für eine friedliche Lösung. Wir alle warten auf den Bericht am 14., der uns sagen wird, ob es Fortschritte gibt oder nicht. Niemand will einen Krieg. Die Vereinigten Staaten wollen keinen Krieg, der Präsident will keinen Krieg, ich will keinen Krieg. Ich glaube, ich kann mit Recht sagen, dass ich mehr über den Krieg weiß als jeder andere in diesem Raum. Ich habe Freunde im Krieg verloren, ich habe in zwei Kriegen gekämpft, ich habe Kriege kommandiert. Das Letzte, was ich will, ist ein weiterer Krieg. Sie wissen, wie die Presse mich charakterisiert: als ›widerstrebenden Krieger‹ und ›Taube‹. Ich habe kein Problem mit diesen Etiketten. Dennoch kann ich dem Vorurteil, dass Kriege immer Schlechtes bewirken, nicht zustimmen. Ja, die unvermeidlichen unbeabsichtigten Folgen müssen sorgfältig erwogen werden, wie im Fall der Hinterlassenschaft der Kriege in Afghanistan. Andere Konflikte lehren andere Lektionen – gute Lektionen.«
An dieser Stelle warf Fischer ein: »Und wir sind das beste Beispiel dafür.«
Powell schloss mit den Worten: »Wenn es zum Konflikt kommt und die Vereinigten Staaten sich als Führer einer Koalition unter der Schirmherrschaft der UN oder einer Koalition der Willigen wiederfinden, kennen sie ihre Pflichten; sie kennen die Aussicht auf Chaos und unbeabsichtigte Folgen; sie kennen in vollem Umfang ihre Verpflichtung, das Gebiet in einem besseren Zustand zu verlassen. Wenn der Konflikt kommt, werden wir nicht wegsehen, und dem Irak und der Region wird es bessergehen. Gleichwohl geben wir weiterhin dem Frieden den Vorrang, nicht dem Krieg.«
Ich habe diesen Wortwechsel so ausführlich wiedergegeben, weil er wie kaum ein anderer Moment in jenem dramatischen Jahr voller diplomatischer Manöver vermittelt, wie aufgepeitscht die Emotionen waren und wie weit die Irakfrage zu etwas Größerem geworden war: Plötzlich ging es um die Grundlagen von Frieden und Sicherheit und um die Stellung der Vereinten Nationen als einziger legitimer Autorität, die den Einsatz von Gewalt im Selbstverteidigungsfall billigen kann.
In den nächsten Wochen sprach ich nahezu täglich mit einem Dutzend Staatsführern, unter ihnen Blair, Bush und Chirac. Am 21. Februar rief ich von Paris aus, wo ich auf einer Reise zu einigen europäischen Hauptstädten gerade Station machte, Bush an, um ihm meinen Eindruck von der Stimmung in Europa zu schildern. Die Führungen, erklärte ich, hätten ebenso wenig wie die Völker Europas, die in Massen demonstrierten, ein Interesse am Überleben Saddam Husseins. Sie seien aber besorgt über die Art und Weise, wie über den Einsatz von Gewalt nachgedacht werde. Bush erläuterte daraufhin, in welchem Licht er die Herausforderung mittlerweile sah. »Saddam Hussein ist ein brutaler Diktator, der sein Volk quält«, konstatierte er. »Und er ist eine Bedrohung für die Vereinigten Staaten und die Welt. Ohne ihn wird die Welt sicherer sein.« Die amerikanische Militäraktion, fügte er hinzu, werde zur »Befreiung des Irak« führen.
Am 24. Februar brachten Frankreich, Deutschland und die Russische Föderation unter den Sicherheitsratsmitgliedern ein gemeinsames Memorandum über die Irakfrage in Umlauf, in dem es hieß: »Die Kombination aus klarem Aktionsprogramm, verstärkten Inspektionen, einer klaren Fristsetzung und militärischem Aufmarsch stellt ein realistisches Mittel dar, um den Sicherheitsrat wieder zu einigen und höchsten Druck auf den Irak auszuüben.« Bei einem Treffen in Paris am 5. März erklärten die Außenminister Frankreichs, Deutschlands und Russlands, sie würden »keiner Resolution zustimmen, die Gewalt autorisiert«. Zwei Tage später teilte mir Hans Blix bei einem Treffen mit ihm und El Baradei mit, dass die Iraker aufgehört hatten, ihre Raketen unter UNMOVIC -Aufsicht zu verschrotten. Allem Anschein nach waren die Würfel gefallen.
Am 10. März antwortete ich auf einer Konferenz in Den Haag auf eine Frage, dass der Sicherheitsrat vor einer weitreichenden Wahl stehe und dass ein Angriff auf den Irak ohne Autorisierung durch den Sicherheitsrat eine Verletzung der UN -Charta darstellen würde. Am selben Tag kündigte Chirac explizit an, dass Frankreich gegen eine
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