Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
einer tiefen Kluft zwischen den Lagern ausgeweitet. Ende Oktober erklärte Powell, als er mich wie so oft bat, dem anderen Lager zu übermitteln, wie stark Washington an seiner Position festhalte: »Was alle einsehen müssen, ist, dass dies der beste Weg ist, einen Krieg zu vermeiden … Wenn die Franzosen weiter Spielchen treiben, werden sie genau das bekommen, was sie zu vermeiden versuchen.« Er schloss mit der Warnung: »Wir verlieren hier die Geduld, und bei uns steht eine Wahl an.«
In den nächsten Wochen stand das Werben um Zustimmung zu der neuen Resolution im Vordergrund, und im Verlauf vieler Telefongespräche wurde sogar Syrien dazu gebracht, ihr zuzustimmen, so dass die Resolution 1441 am 8. November einstimmig gebilligt wurde. Im Sicherheitsrat herrschte an jenem Tag das Gefühl, wirklich etwas erreicht zu haben, weil man glaubte, die Mitgliedsstaaten hätten in harten Verhandlungen eine Formel gefunden, welche die Prärogative des Sicherheitsrats bewahrte und gleichzeitig den Irakern vor Augen hielt, dass die Zeit für ihre Tricks und Verschleierungen ablief. Ich war jedoch über Washingtons Absichten besorgt. Als ich am Vorabend der Abstimmung im Sicherheitsrat mit Powell sprach, warnte er mich in einem erregten Tonfall: »Was Sie herausfinden müssen, ist, wie Sie zu den Irakern durchdringen können – und ich bezweifle, dass irgendjemand zu Saddam durchzudringen vermag –, um ihnen zu sagen, dass wir nicht zusehen werden, wie viele Haken sie noch schlagen, und dass sie die strategische Entscheidung für die Kooperation treffen müssen. Wenn er glaubt, er könne die Inspektoren wieder an der Nase herumführen, wird er eine Überraschung erleben.«
Ich unterstrich mit unmissverständlichen Worten meine eigene Haltung zum »Automatismus«, das heißt zu der Frage, ob die Resolution 1441 im Fall eines erheblichen Verstoßes gegen die Resolution durch den Irak eine automatische Reaktion mit militärischer Gewalt vorsah. »Wichtig ist«, stellte ich in meiner Erklärung nach der Abstimmung fest, »dass die Resolution keinen Auslöser enthält und der Sicherheitsrat untersuchen wird, was die Inspektoren zurückbringen … Wie diese Krise gelöst wird, wird starken Einfluss darauf haben, wie sich Frieden und Sicherheit in der Region und in der ganzen Welt in den kommenden Jahren entwickeln werden.«
Als ich am nächsten Tag mit Präsident Bush zusammentraf, lobte ich ihn dafür, dass er sich für den multilateralen Weg entschieden hatte. Im privaten Gespräch war er kompromisslos wie immer, aber ihm schien doch klar zu sein, dass die Resolution 1441 keine Klausel enthielt, die ein automatisches militärisches Vorgehen vorsah. Ein eventuelles militärisches Eingreifen würde »schnell« vonstattengehen, erklärte er, fügte aber hinzu: »Sollte Saddam Blix in irgendeiner Weise behindern, werden wir uns wieder an die UNO wenden. Und sei es wegen einer Büroklammer. Ehrlich.« Dann beschrieb er die Situation in emotionaleren Worten: »Sie, ich und andere haben die Pflicht, Menschen zu befreien, wenn wir feststellen, dass sie gefoltert und getötet werden … Mir kommen die Tränen, wenn ich daran denke, was das irakische Volk durchmacht.«
Saddam kehrte bald zu seinem unnachgiebigen Modus Operandi zurück, obwohl Mitarbeiter von UNMOVIC und IAEA mit ihren Inspektionen begannen. Die »vollständige und umfassende Erklärung« seiner Waffenprogramme, die der Irak in Gestalt eines 12 000 Seiten umfassenden Dokuments unter viel Tamtam vorlegte, war, wie sich herausstellte, weder vollständig noch umfassend. Kurz vor Weihnachten deuteten die Vereinigten Staaten an, wie sie einen »erheblichen Bruch« von Seiten des Irak definierten. Paris reagierte darauf erwartungsgemäß mit der Erklärung, Frankreich werde es, wie Außenminister Villepin am 20. Januar betonte, unter keinen Umständen zulassen, dass der Sicherheitsrat einen Krieg gegen den Irak autorisiere. Damit zog Frankreich vorsorglich eine klare Trennlinie, denn es war bereits geplant, dass die Vereinigten Staaten vor dem Sicherheitsrat in aller Form ihre Ansicht vortragen würden, der zufolge der Irak die Sicherheitsratsresolutionen erheblich verletzte. Der verzweifelte britische Versuch, eine zweite Resolution zustande zu bringen – die Washington schon immer für überflüssig gehalten hatte –, scheiterte. In wichtigen Ländern der Region machte man sich bereits Gedanken über die Auswirkungen eines Krieges gegen den Irak. Als ich Ende Januar mit
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