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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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wollte und entschlossen war, die irakischen Massenvernichtungswaffen zu behalten. Wie sich herausstellen sollte, hatte das irakische Regime, trotz all seiner Finten, zwischen 1991 und 2003 tatsächlich sein gesamtes Arsenal solcher Waffen vernichtet. Saddams langjähriger Außenminister Tariq Aziz fragte einmal ein Mitglied eines UNSCOM -Inspektionsteams: »Sie wissen doch, warum wir nicht zulassen können, dass Sie offiziell bestätigen, dass wir keine Massenvernichtungswaffen mehr besitzen, oder?« Der UN -Mitarbeiter erwiderte ungläubig, dass dies der ganze Zweck der Inspektionen sei und man den Bann gegen den Irak aufheben werde, sobald er von dem Stigma befreit sei. Darauf beantwortete Aziz seine eigene Frage: »Wegen der Perser und der Juden.« Mit anderen Worten, Saddam wollte die Furcht, er verfüge über Massenvernichtungswaffen, aufrechterhalten, um den Iran und Israel abzuschrecken, die er beide als Todfeinde betrachtete. Er wollte weder unbewaffnet erscheinen, noch den demütigenden Eindruck erwecken, er habe den Forderungen der Weltgemeinschaft in vollem Umfang nachgegeben. Ohne den 11. September 2001 hätte das irakische Regime dieses Spiel vermutlich noch jahrelang fortsetzen können.
    Doch am 11. September veränderte sich die Bedrohungswahrnehmung der Amerikaner und Briten dramatisch, und ihre Reaktion sollte die Welt verändern. Im Dezember 1999 war als Ersatz für die UNSCOM eine neue Inspektionskommission geschaffen worden, die Überwachungs-, Verifikations- und Inspektionskommission der Vereinten Nationen ( UNMOVIC ) unter Leitung von Hans Blix, dem früheren Generaldirektor der Atomenergie-Organisation. In den ersten beiden Jahren ihrer Existenz waren die Inspektionen im Sicherheitsrat allerdings kaum ein Thema. Kurz nach der amerikanischen Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 wandte sich der Rat auf Drängen der Regierung Bush erneut mit Nachdruck der Frage von Saddams Fügsamkeit zu, und nach dem 11. September 2001 äußerten ausländische Staatsmänner mir gegenüber die Sorge, dass die Vereinigten Staaten den Irak und Saddam persönlich ins Visier nehmen könnten. Mitte November sagte der indische Premierminister Atal Bihari Vajpayee zu mir, ein Angriff würde »eine Antiterrorkoalition sprengen, die immer noch sehr fragil« sei. Im Januar bezeichnete George W. Bush in der Rede zur Lage der Nation den Irak als Teil einer »Achse des Bösen«. Nach Ansicht vieler war der Krieg bereits beschlossene Sache.
    Washington war unverkennbar von einer neuen Entschlossenheit erfüllt: Man wollte Saddam endgültig entwaffnet sehen. Bei einem Treffen mit zwei britischen Diplomaten Ende Februar wies ich darauf hin, dass viele UN -Mitgliedsstaaten, einschließlich einiger europäischer Länder und Kanadas, eine Ermächtigung des Sicherheitsrats für erforderlich hielten, falls die Vereinigten Staaten ihren Krieg gegen den Terror auf den Irak ausdehnen wollten. Einige Tage später suchte mich einer der beiden Diplomaten auf, um mir mitzuteilen, dass die Vereinigten Staaten auf der vollständigen Erfüllung der Resolutionen bestünden; andernfalls müsse das Regime »verschwinden«. Auf meine Erwiderung, Saddam neige zu Fehlkalkulationen, erklärte der Diplomat: »Entweder sie werden das Potential los, oder sie werden ihn los.«
    Gleichwohl war selbst den schärfsten Gegnern einer militärischen Aktion klar, dass die damalige Strategie nicht wirkte: Die Sanktionen konnten nie »smart« genug sein, um dem irakischen Volk weiteres Leid zu ersparen, aber auch nicht robust genug, um mit Sicherheit zu verhindern, dass der Irak Mittel und Wege fand, sich entgegen seiner Verpflichtungen gegenüber dem Sicherheitsrat neu zu bewaffnen.
    Andererseits wuchs bei den Regierungen Frankreichs, Chinas, Russlands und Deutschlands im Lauf der Zeit die Entschlossenheit, einen unilateralen Einsatz von Gewalt durch die Vereinigten Staaten zu verhindern. Nach ihrer Auffassung war er mit dem internationalen System und der Rolle des Sicherheitsrats bei der Wahrung von Frieden und Sicherheit grundsätzlich unvereinbar. Im folgenden Jahr nahmen die Verhandlungen über eine neue Resolution Fahrt auf, wobei beide Seiten auf ihrer Sicht dessen, was akzeptabel war, beharrten. Ich begann regelmäßig private Abendessen für die Botschafter der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder zu geben, um einen intensiven Dialog in Gang zu bringen, auch wenn er nicht zu einer Einigung führen würde. Diese musste auf Ebene der Staats- und

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