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Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)

Titel: Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kofi Annan
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überwältigende Wunsch eines erschöpften Volks, ein Vierteljahrhundert des Krieges hinter sich zu lassen. Als Tony Blair im Namen seines Landes anbot, die Führung des ersten internationalen Kontingents in Kabul – der Speerspitze der vom Sicherheitsrat beschlossenen 4500 Mann starken Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe ( ISAF ) – zu übernehmen, hatte ich es mutig gefunden. Doch die Stationierung verlief wesentlich reibungsloser als erwartet, und während meines Besuchs wurde ich von Afghanen immer nachdrücklicher aufgefordert, mich für die Ausweitung der ISAF -Mission auf das ganze Land einzusetzen.
    Dies überstieg unsere Möglichkeiten. Hatte Ende 2001 die Politik kaum mit der militärischen Entwicklung Schritt zu halten vermocht, standen wir jetzt vor dem entgegengesetzten Problem: Die Sicherheitsrealität begann hinter dem formalen politischen Übergangsprozess hinterherzuhinken. Die Unfähigkeit, diesen Rückstand aufzuholen, sollte sich als größte Bedrohung für den Übergang selbst herausstellen. In unseren Berichten an den Sicherheitsrat kamen wir ein ums andere Mal auf dieses Thema zurück, ohne jedoch etwas zu erreichen. Während das amerikanische Außenministerium die Notwendigkeit einer Gesamtstrategie für den Wiederaufbau Afghanistans erkannte, hatte das US -Militär lediglich die Kampagne gegen al-Qaida im Sinn – und begann, wie sich herausstellte, Mittel umzuleiten, um eine Offensive gegen den Irak vorzubereiten. Diese sollte bald den größten Teil der diplomatischen und militärischen Kraft absorbieren.
    Vor Ort heuerten die Vereinigten Staaten Warlords als Sicherheitsunternehmer an, die sich ihrerseits der Autorität der Zentralregierung in Kabul widersetzten. Ich will nicht behaupten, dass man die Warlords einfach hätte ignorieren können – auch die Vereinten Nationen standen in der Kritik, weil sie in der Loja Dschirga von 2002 eine bedeutende Rolle spielten. Aber während die ISAF sich bemühte, die Waffen der Warlords einzusammeln und sie in den im Neuaufbau befindlichen Staat zu integrieren, rekrutierten die Vereinigten Staaten sie für den Krieg gegen den Terror. In ähnlicher Weise half Pakistan den Amerikanern bei der Jagd nach al-Qaida, während es gleichzeitig sowohl in Afghanistan als auch in den pakistanischen Stammesgebieten die Taliban unterstützte.
    Im Lauf der Zeit wurde deutlich, dass eine grundlegende Kurskorrektur vonnöten war. Im Herbst 2003 schlugen wir eine zweite Petersberger Konferenz vor, um die Mängel des Petersberger Abkommens zu beheben, insbesondere hinsichtlich der Repräsentanz aller maßgeblichen Gruppierungen der afghanischen Gesellschaft. Es ging darum, die sich verschlechternde Sicherheitslage in den Griff zu bekommen und den Wiederaufbau zu beschleunigen. Vor allem aber war es der richtige Zeitpunkt, um jene Taliban einzubeziehen, die sich am politischen Prozess beteiligen wollten. Die Taliban befanden sich damals auf einem Tiefpunkt und waren für Kompromisse so zugänglich wie noch nie. Aber verhängnisvollerweise fanden wir für unseren Vorschlag nicht genügend Unterstützung, auch nicht von Seiten unserer amerikanischen Partner.
    Im Oktober 2001 hatte Präsident Bush mir erklärt: »Während des Wahlkampfs habe ich gesagt, ich würde das Militär nicht für den Aufbau des Staates einsetzen, und ich gedenke Wort zu halten.« Es war eine sehr verengte Herangehensweise an ein tiefsitzendes Problem, die auf der Illusion beruhte, Afghanistan könne zum Billigtarif stabilisiert werden. Es sollte Jahre dauern, bis die Vereinigten Staaten aufhörten, die Warlords zu bezahlen. Auch die Europäer, die in Bezug auf die Entsendung von Truppen äußerst vorsichtig gewesen waren, brauchten fünf Jahre, bis sie ihren Sicherheitsbeitrag erhöhten. Erst nach dem Amtsantritt von Präsident Obama beschäftigte man sich wieder und auf angemessene Weise mit diesen Fragen, aber zu diesem Zeitpunkt war es schon fast zu spät. Seit die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten verkündet haben, sich bis 2014 aus Afghanistan zurückziehen zu wollen, hat es den Anschein, als würde die Geschichte sich wiederholen und als würden die Menschen in Afghanistan erneut zu Schachfiguren in großen und kleinen Spielen.
    Chronik eines angekündigten Krieges
    Vor der Invasion des Irak im Jahr 2003 hatte man stets angenommen, Saddam verweigere die volle Zusammenarbeit, weil er den Forderungen der Vereinigten Staaten und der Vereinten Nationen nicht nachkommen

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