Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Berichte, die 1992 in den Fernsehnachrichten gezeigt wurden, gehören zu den schlimmsten, die ich jemals gesehen habe. Ganz Somalia schien von ausgemergelten Körpern bedeckt zu sein – Männern, Frauen, Kindern –, von denen manche tot, andere kaum noch am Leben waren. Hunderttausende Somalis starben. Doch das Problem war, dass bloße Lebensmittellieferungen keine durchgreifende Wirkung hatten. Der Hunger war weder durch schlechtes Wetter noch durch ein unzureichendes System der Lebensmittelverteilung verursacht worden; in diesem Fall hätte er durch humanitäre Hilfe binnen kurzer Zeit gemildert werden können. Obwohl eine verheerende Dürre die ursprüngliche Lebensmittelknappheit verursacht hatte, war der Hunger von bewaffneten Männern geschaffen worden, die absichtlich die elementarsten Mittel für das Überleben ganzer Bevölkerungsgruppen vernichteten. Humanitäre Hilfe allein reichte nicht aus, um eine Hungersnot zu bekämpfen, die durch einen brutalen Bürgerkrieg verursacht worden war.
Es wäre für jede Macht und ihre Truppen ungemein schwierig gewesen, einfach einzumarschieren und einen derart großen, komplizierten Bürgerkrieg zu beenden; zudem gab es keinen Präzedenzfall für eine solche Aktion. Gemäß der Kultur und Erfahrung der Vereinten Nationen waren Verhandlungen und ein Übereinkommen zwischen den Kriegsparteien die einzig mögliche Art, wie die UNO versuchen konnte, ein sicheres Umfeld für humanitäre Hilfe zu schaffen. Am 27. Dezember 1991 unternahm der scheidende Generalsekretär Javier Pérez de Cuéllar den ersten Versuch, eine politische Vereinbarung auszuhandeln und eine Einstellung der Feindseligkeiten zu erreichen, damit humanitäre Hilfslieferungen sicher zu den Hungernden gelangen konnten.
Anfangs schien es so, als wäre der Versuch von Erfolg gekrönt. Am 3. März 1992 wurde in Mogadischu ein Waffenstillstand zwischen Präsident Mahdi und General Aidid erreicht. Ein Element der Vereinbarung sowie späterer Abmachungen war die UN -Operation in Somalia ( UNOSOM ), die der Sicherheitsrat im April beschloss. Es war ein friedenssichernder Einsatz von fünfzig unbewaffneten Beobachtern, die den Waffenstillstand in Mogadischu überwachen sollten, sowie weiterer Truppen, die Konvois mit Hilfsgütern in alle Landesteile begleiten sollten.
Am 25. August 1992 erfuhren wir vom Roten Kreuz, dass in der südsomalischen Hafenstadt Kismayo elf seiner Mitarbeiter getötet worden waren. Dies war ein besonders schlimmer Fall unter einer Vielzahl von Angriffen, denen Helfer und Hilfslieferungen in den Tagen und Wochen zuvor ausgesetzt gewesen waren. Neun Tage zuvor, am 16. August, war ich in meinem Büro in der DPKO in New York mit der Nachricht begrüßt worden, dass in Mogadischu mit Lebensmitteln beladene Lastwagen von Bewaffneten und Plünderern aufgehalten worden waren. Wieder einmal war der Versuch von Mitarbeitern des Welternährungsprogramms der UNO , Lebensmittel aus dem Hafen der Hauptstadt in umliegende Orte zu bringen, mit Gewalt vereitelt worden. Aber das war noch nicht alles: Zur gleichen Zeit war in Kismayo eine Bande von Bewaffneten in den Hafen eingedrungen und hatte 250 Tonnen Lebensmittel gestohlen.
Von humanitären Helfern in ländlichen Gebieten Somalias erhielten wir immer erschütterndere Berichte über die Lage der Bevölkerung und die Folgen der ausbleibenden Lebensmittelhilfe: In Baidoa, rund 250 Kilometer von Mogadischu entfernt, starben in den Ernährungszentren jeden Tag Kinder, obwohl diese Zentren bereits über einen Monat zuvor eingerichtet worden waren. Wie die Helfer uns berichteten, war die Straße zwischen Mogadischu und Baidoa inzwischen mit Leichen bedeckt.
Während all dessen wurde auf erschreckende Weise klar, dass von politischer Versöhnung nicht die Rede sein konnte, der Frieden nicht einkehrte und die humanitäre Hilfe weiterhin durch Plünderungen bewaffneter Gangs unterbrochen und verhindert wurde. Die Realitäten vor Ort machten wiederholt deutlich, dass die Mittel der UN -Mission unzureichend waren. Ende August 1992 beschloss der Sicherheitsrat eine Reihe moderater Maßnahmen, um, wie von Boutros-Ghali vorgeschlagen, die Beobachtungs- und Begleitoperationen von UNOSOM auszuweiten.
Doch solange in Somalia die Kampfhandlungen des sich ständig verändernden Bürgerkriegs anhielten, verschlechterte sich die humanitäre Lage in weiten Teilen des Landes trotz aller Hilfsanstrengungen weiter, und nach dem November 1992 beschleunigte sich diese
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