Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
Politiker, die die Intervention abgelehnt hatten, forderten jetzt umso lauter die Beendigung der amerikanischen Beteiligung. Washington gab umgehend den amerikanischen Rückzug aus Somalia bekannt. Damit war UNOSOM II am Ende, denn die Operation verlor die am besten ausgebildeten und ausgerüsteten Truppen. Die anderen Länder, die Truppen gestellt hatten, gerieten dadurch in eine noch exponiertere Position und schlossen sich bald darauf dem amerikanischen Schritt an. Binnen weniger Monate brach die UN -Mission in Somalia in sich zusammen. Damit endete das größte jemals unternommene Experiment der Friedenserzwingung im Rahmen einer rein humanitär begründeten Mission. Nachdem man das Land mit dem Ziel der Friedenssicherung betreten hatte und dort von Schüssen empfangen worden war, war das Pendel rasch und nachhaltig zur Option des Rückzugs geschwungen – einschließlich der Beendigung der Hilfe, die man dem somalischen Volk voller Stolz angeboten hatte.
Die Welt gab Somalia auf und überließ das Land ungeahnten Formen von zivilem Chaos und menschlichem Leid. Fortan wurde Somalia von den westlichen Ländern ignoriert – bis Jahre später vermehrt internationale Terroristen dort auftauchten und gut organisierte Piraten in großer Zahl auf hoher See eine der Lebensadern des Welthandels bedrohten. 1993 hatte jedoch die Weltgemeinschaft die Idee des »aufgeklärten Eigeninteresses« bei internationalen humanitären Einsätzen noch nicht für sich entdeckt.
Das Scheitern des Kommandounternehmens vom 3. Oktober hatte das dysfunktionale Wesen des Friedenssicherungssystems sichtbar gemacht. Es führte indes nicht dazu, dass die UN -Mitgliedsstaaten eine sorgfältige Neubewertung des Instruments der Friedenssicherung vornahmen. Vielmehr reagierten sie mit Kurzschlusshandlungen: US -Präsident Bill Clinton verkündete, man werde das Leben von US -Soldaten nie wieder in einer UN -Friedensmission aufs Spiel setzen. Infolge des somalischen Debakels ließen sich die Staaten, die Truppen bereitstellten, noch stärker als bisher von der instinktiven Abneigung gegen Risiken leiten. Dennoch wurden weiterhin friedenssichernde Einsätze in komplexen und sich rasch verändernden Bürgerkriegsgebieten unternommen.
Dies verstärkte die Dysfunktionalität der Friedenssicherung nur noch mehr. Eine im September 1993 in Gang gesetzte friedenssichernde Mission in Haiti wurde abgebrochen, nachdem am 11. Oktober ein US -Kriegsschiff mit amerikanischen und kanadischen Truppen an Bord angesichts krimineller Banden am Ufer abgedreht war, obwohl diese nur leicht bewaffnet waren. Die negative Einstellung zur Friedenssicherung floss nach dem 3. Oktober 1993 auch in die Verhandlungen über andere friedenssichernde Missionen ein und führte im Sicherheitsrat zur wütenden Ablehnung jeglichen Mandats oder Einsatzes, sobald ein solcher die Anwendung von Gewalt erfordern könnte. Fatalerweise war die erste Operation, die in jenem Klima beschlossen wurde, der Einsatz in Ruanda.
Ruanda: im Schatten Somalias
Verschlüsseltes Telegramm, 11. Januar 1994
An: Maurice Baril, DPKO , UN, New York
Von: Romeo Dallaire, Befehlshaber der Einsatzkräfte, UNAMIR, Kigali, Ruanda
Betrifft: Ersuchen um Informantenschutz
Befehlshaber wurde durch sehr, sehr wichtigen Regierungspolitiker mit Informanten in Kontakt gebracht. Informant ist hochrangiger Ausbilder im Kader der Interahamwe, der bewaffneten Miliz der MRND [der regierenden Hutu-Partei]. Er teilte uns mit, dass er die Demonstrationen vom letzten Sonnabend geleitet hat … Man wollte das RPF-Bataillon [die Einheit der Rebellenarmee, die gemäß dem Friedensvertrag in Kigali stationiert war] dazu provozieren, mit den Demonstranten zu kämpfen (auf sie zu schießen) und einen Bürgerkrieg auszulösen. Abgeordnete sollten beim Betreten oder Verlassen des Parlaments ermordet werden. Belgische Truppen [der Kern der Friedenstruppe] sollten provoziert werden, und wenn die belgischen Soldaten mit Gewalt reagierten, sollten mehrere von ihnen getötet werden, um den Rückzug der Belgier aus Ruanda zu erreichen … Seit dem UNAMIR -Mandat ist er [der Informant] beauftragt worden, alle Tutsi in Kigali zu registrieren. Er vermutet, dass es um ihre Vernichtung geht. Als Beispiel erklärte er, dass seine Leute in 20 Minuten bis zu 1000 Tutsi töten könnten. Informant beteuert, gegen die Vernichtung der Tutsi zu sein … Informant ist bereit, Ort eines großen Waffenlagers mit mindestens 135 Waffen zu nennen … Er war
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