Ein Leben in Krieg und Frieden (German Edition)
meiner Rede hatte ich das Versagen der UNO und der Weltgemeinschaft in Ruanda eingestanden: »Wir müssen zugeben, dass die Welt Ruanda angesichts des Bösen im Stich gelassen hat. Die Weltgemeinschaft und die Vereinten Nationen konnten nicht den politischen Willen aufbringen, sich ihm entgegenzustellen. Die Welt bedauert dieses Versäumnis zutiefst.« Und dann fügte ich hinzu: »Ruandas Tragödie war eine Tragödie der Welt.«
Nach der Rede war ein Empfang geplant, doch als wir zu ihm gingen, erfuhren wir, dass der Präsident und sein Kabinett ihre Teilnahme verärgert abgesagt hatten und bereits dabei waren, die Gründe in ganz Ruanda bekanntzumachen. Der Sprecher des Präsidenten verkündete, die »Arroganz«, die ich angeblich an den Tag gelegt hatte, habe »das ruandische Volk beleidigt«. In meiner Rede hatte ich festgestellt, dass das Grauen in Ruanda »von innen kam«, und das hatte die Empörung ausgelöst. Ich hatte diese Worte im Zuge eines Arguments benutzt, das eigentlich unstrittig hätte sein müssen: dass nämlich, während die Weltgemeinschaft und die UNO es versäumten, in Aktion zu treten, als sie so viel mehr hätten tun können, die Quelle des über Ruanda hereingebrochenen Leids die im Land selbst vorhandenen Dämonen gewesen waren. Es war ein Hinweis darauf, wie groß die Herausforderungen waren, denen das Land gegenüberstand, insbesondere, was die nationale Versöhnung betraf. Sie war die größte Aufgabe, die das Land zu bewältigen hatte, und erforderte entsprechende Beachtung. Außerdem hielt ich es für die UNO wie auch für Ruanda für kontraproduktiv, in irgendeiner Weise anzudeuten, dass die UNO und die Weltgemeinschaft, so viel Schuld sie auf sich geladen hatten, die Haupttäter gewesen seien.
Wie ich in dieser Zeit in Pressegesprächen betonte, hatte das Problem in der kollektiven Weigerung der Weltgemeinschaft bestanden, etwas zu unternehmen, insbesondere mittels der UNO . Aber inzwischen machte die irrige Vorstellung die Runde, die UN -Friedenstruppe hätte den Völkermord beenden können, als handle es sich um eine allgemein anerkannte Tatsache. Sie implizierte, dass sich das Instrument, mit dem der Völkermord hätte beendet werden können, bereits im Land befand und nur nicht eingesetzt wurde. Doch die UN -Truppe in Ruanda hätte allein den Völkermord nicht beenden können. Es war eine friedenssichernde Truppe, die absichtlich schwach und angreifbar ausgelegt war, um das Vertrauen beider Seiten zu gewinnen. In Wirklichkeit war sie aufgrund der Schwierigkeiten, Truppen und Ausrüstung zu finden, noch schwächer als geplant. UNAMIR hätte sicherlich verstärkt werden können, um mehr Leben zu retten. Aber um die landesweite Völkermordkampagne zu beenden, wäre eine vollkommen andere Truppe nötig gewesen. Sie hätte mindestens eine ähnliche Kampffähigkeit besitzen müssen wie die Armee der Ruandischen Patriotischen Front, die erst das ganze Land erobern musste, bevor sie den Völkermord beenden konnte.
Bald nach dem Besuch in Ruanda im Jahr 1998 ging ich gezielt daran, die UN -Friedenssicherung zu reformieren. Der erste Schritt war das umfassende und aufrichtige Eingeständnis ihres Scheiterns in der jüngsten Geschichte. Das Ansehen der UNO war Aufgrund ihrer Assoziation mit den schlimmsten Gräueltaten der noch nicht lange zurückliegenden Bürgerkriege mit einem furchtbaren Makel behaftet. Doch dies war eine schmerzliche Mahnung, die wir nutzen konnten: ein Schock für uns alle, den wir in einen produktiven, kraftvollen Antrieb der Reform verwandeln konnten. Zu diesem Zweck gab ich zwei Berichte in Auftrag, einen über das Versagen der UNO im Vorfeld des Massakers von Srebrenica und den zweiten über die Ursachen des Versagens der UNO im Vorfeld des Völkermords in Ruanda sowie bei der Reaktion auf diesen. Beide Berichte, die mir im November beziehungsweise Dezember 1999 vorlagen, übten Kritik an vielen Beteiligten, insbesondere an UN -Mitgliedsstaaten und ihren politischen Führern, aber auch am UN -Sekretariat und insbesondere an meiner eigenen früheren Dienststelle, der Hauptabteilung Friedenssicherungseinsätze.
Nachdem ich die Berichte erhalten hatte, teilte ich dem Sicherheitsrat meine Absicht mit, auf der Grundlage ihrer schwerwiegenden Erkenntnisse einen umfassenden Lern- und Reformprozess bei der Friedenssicherung in Gang zu setzen. Entgegen dem dringenden Rat von mancher Seite ordnete ich an, beide Berichte in vollem Umfang und ohne jede Änderung zu
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